Die Ausgaben der öffentlichen Hand für die Schweizer Kultur steigen seit einigen Jahren, zeigen die neuesten Zahlen des Bundesamts für Statistik. Bund, Kantone und Gemeinden wendeten 2019 gut drei Milliarden Franken für Kulturförderung auf.
Unter den 10 grössten Städten belegt Genf die Spitzenposition: 1537 Franken gibt die Stadt pro Kopf für Kultur aus und liegt damit vor Basel (1115 Franken) und Zürich (525 Franken).
Dass gerade die Romandie die Kultur finanziell so stark fördert, hat ihre Gründe, so Westschweiz-Korrespondentin Barbara Colpi.
SRF: Die Stadt Genf gibt jährlich fast 100 Millionen Franken mehr für Kultur aus als Zürich. Wo geht dieses Geld hin?
Barbara Colpi: Ein wichtiger Teil geht an die Museen. Der Stadt gehören 16 Museen, darunter das Museum für Kunst und Geschichte, das Naturhistorische Museum oder das Ethnographische Museum.
Zudem unterstützt die Stadt auch zahlreiche Theater, allen voran das «Grand Theatre», wie die Oper heisst – aber auch viele weitere Bühnen und Säle. Nicht zuletzt fördert Genf auch jährlich zahlreiche Künstlerinnen und Künstler mit Fördergeldern.
Genf ist eine sehr internationale Stadt. Es ist breiter Konsens, dass Kultur ein wichtiger Integrationsfaktor ist.
Warum gibt Genf so viel mehr Geld für Kultur aus als die Städte in der Deutschschweiz?
Ich denke, das liegt an dem grösseren Spektrum. In Genf gilt das Motto: Kultur soll für alle zugänglich sein. Geringe finanzielle Mittel sollen keine Barriere sein. Die öffentlichen Museen haben gratis Eintritt für alle. Die Eintrittsgelder werden von der Stadt finanziert. Kulturveranstaltungen sind einer Preispolitik verpflichtet und daher gelten dort moderate Eintrittspreise.
Und dann spielt sicher auch der politische Wille eine grosse Rolle: Genf ist seit Jahrzehnten links regiert. Zudem ist Genf eine sehr internationale Stadt. Man darf nicht vergessen: Fast die Hälfte aller Menschen, die in Genf leben, haben keinen Schweizer Pass. Es ist breiter Konsens, dass Kultur ein wichtiger Integrationsfaktor ist.
Der Stellenwert der Kultur in der Gesellschaft ist höher und der politische Wille ist da, die Kultur zu unterstützen.
Deshalb gibt es auch viele kleinere Festivals, die von ausländischen Gruppen und Kulturvereinen organisiert werden. All diese Faktoren führen dazu, dass Genf mit so einer grossen Summe die Kultur fördert.
Nun haben wir über Genf gesprochen. Gilt denn das auch für den Rest der Romandie?
Viele Punkte gelten auch für den Rest der Romandie, gerade auch der politische Kontext. Also wenn es um Kulturförderung geht, dann kommen in der Westschweiz die kritischen Stimmen am ehesten von der SVP. Und diese spielt in der Westschweiz in den meisten Kantonen nur eine marginale Rolle.
Wir können als Beispiel auch die zweitgrösste Westschweizer Stadt nehmen, Lausanne. Auch links regiert. Da entsteht beim Bahnhof zurzeit ein ganzes Museumsquartier. Das Kunstmuseum ist bereits eröffnet. Und auch da gilt: Die permanente Sammlung ist jederzeit gratis zu besuchen – für alle.
Die Steuerbelastung für die Mittelschicht zählt in Genf und Lausanne zu den höchsten in der Schweiz.
Die Romandie fördert also die Kultur mehr als die Deutschschweiz. Ist das ein neues Phänomen oder hat das Tradition?
Es hat Tradition. Der Stellenwert der Kultur in der Gesellschaft ist etwas höher und der politische Wille ist da, diese Kultur zu unterstützen. Nicht nur was die Kultur angeht, sondern überhaupt ist der Sozialstaat in der Romandie stärker ausgebaut. Vieles, was in der Deutschschweiz in privater Hand ist, ist dort in öffentlicher Hand.
Aber natürlich wächst auch in der Romandie das Geld nicht auf den Bäumen. Die Steuerbelastung für die Mittelschicht zählt in Genf und Lausanne zu den höchsten in der Schweiz. Kulturförderung wird indirekt von den Steuerzahlenden mitfinanziert und umverteilt.
Das Gespräch führte Igor Basic.