Als das Bundesamt für Kultur den Begriff «Kulturelle Teilhabe» 2014 als wichtigen Handlungsstrang der Schweizer Kulturpolitik definierte, nickten viele anerkennend. Natürlich sollten möglichst viele, wenn nicht alle, am kulturellen Angebot teilnehmen.
Als aber klar wurde, dass damit auch Mitwirkung und Mitverantwortung gemeint war, begannen Museumsdirektoren und Theaterleiterinnen sich nervös zu winden. Entscheidungsmacht abgeben? Undenkbar!
Entscheidungsmacht den Laien
Die Winterthurer Stiftung Kultur, Kunst und Geschichte SKKG macht nun ernst mit der kulturellen Teilhabe. Die SKKG, wurde vom Immobilienkönig Bruno Stefanini gegründet hat und wird seit drei Jahren von seiner umtriebigen Tochter präsidiert.
Die Stiftung startet nun ein radikal neues Projekt: Eine 12-köpfige Jury aus Laien soll ein Jahr lang entscheiden, welche Kulturprojekte in Winterthur Geld erhalten.
Dabei drückt die SKKG dem Laiengremium nicht nur einen Batzen in die Hand, sondern gewichtige 500'000 Franken.
«Wir wollen hier nicht einfach üben, sondern ohne Netz und doppelten Boden wirklich Entscheidungsmacht abgeben», begründet Andreas Geis, Leiter Kulturförderung bei der SKKG, die hohe Summe.
Die Ernsthaftigkeit beweist die Stiftung auch damit, dass das neue Fördermodell für vier Jahre finanziert ist. Insgesamt stehen zwei Millionen Franken bereit als Investition in die kulturelle Teilhabe.
Die Magie des Loses
Nun soll der Zufall über die Zusammensetzung der Laien-Jury entscheiden. Damit will die SKKG verhindern, dass sich die «üblichen Verdächtigen» und Kultur-Lobbyisten melden. «Wir glauben an die Magie des Loses», sagt Geis. «Die Tatsache, ausgelost zu sein, setzt ein Interesse frei.»
Wahrscheinlich wird die Stadt die Auslosung aufgrund der Meldedaten übernehmen, sodass eine gut gemischte Jury zustande kommt. Wichtig sei dabei, dass die ausgelosten Personen nicht stellvertretend für soziokulturelle Gruppen entscheiden. «Sie sind als Personen mit ihren Einschätzungen, Themen und Interessen gefragt», erklärt Geis.
Wirkungsorientierte Kultur-Anträge
Wer sich in der Kulturförderung auskennt, weiss, dass die Bürokratie oft gross ist und die Förderanträge lang und mit Fachjargon gespickt sind. Damit die Laien-Jury nicht von Antragslawinen erdrückt wird, sind andere Anträge gewünscht.
Sie müssen kurz und einfach formuliert sein, und die Kulturschaffenden werden gezwungen darzulegen, was sie mit ihrem Projekt bewirken wollen. Gut möglich, dass auch Kulturfachstellen und Kultur-Stiftungen Gefallen finden an kurzen und wirkungsorientierten Anträgen.
Ehrenamtlich oder bezahlt?
Noch hat die SKKG die Auslosung der Jury und das Antragsprozedere nicht begonnen. Corona ist auch hier eine temporäre Spielverderberin. Andreas Geis lässt sich die Laune nicht verderben, denn er ist von der Tiefenwirkung dieses Projekts überzeugt.
Zum einen würden Laien hautnah miterleben und nachvollziehen, dass Ausstellungen oder Theaterabende nicht einfach vom Himmel fallen, sondern dass dahinter handfeste Arbeit, viel Erfahrung und Können stecken.
Zum anderen würden sie von diesen Erkenntnissen Kunde tun am Arbeitsplatz und Freundeskreis.
Jetzt nutzen Geis und sein Team die Zeit, an diesem aussergewöhnlichen Projekt zu feilen und zu klären, ob es richtig ist, dass die Laien-Jury ehrenamtlich tätig sein soll.