Zum Inhalt springen

Header

Video
Hilfsmassnahmen des Bundes – Kritik aus der Kulturszene
Aus Kulturplatz vom 24.06.2020.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 37 Sekunden.
Inhalt

Kulturförderung während Corona «Es tut mir wahnsinnig leid, dass viele warten müssen»

Vor drei Monaten schnürte der Bund ein Soforthilfe-Paket von 280 Millionen für Kulturschaffende. Doch das Geld komme nicht an, kritisieren inzwischen freischaffende Künstlerinnen und Künstler.

Philippe Bischof, der als Leiter von Pro Helvetia an der Ausarbeitung der Massnahmen beteiligt war, kennt die Probleme. Er sieht die Krise aber auch als Chance, um das Schweizer Kultursystem nachhaltig zu verändern.

Philippe Bischof

Philippe Bischof

Direktor Pro Helvetia

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Philippe Bischof ist seit November 2017 Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Zuvor hat er die Abteilung Kultur des Kantons Basel-Stadt geleitet und war Präsident der Konferenz der Kantonalen Kulturbeauftragten (KBK).

Als Direktor der Pro Helvetia war er an den Gesprächen mit dem Bundesamt für Kultur (BAK) zur Ausarbeitung der Corona-Massnahmen und Verteilung der Gelder beteiligt.

SRF: Wie gut haben die Corona-Massnahmen für die Kulturszene aus Ihrer Sicht bisher funktioniert?

Philippe Bischof: Dass Leute durchs Raster fallen, ist leider so. Das haben wir auch von Anfang an gewusst.

Wir sind nicht in einem zentralistischen, sondern in einem föderalistischen System. Die verschiedenen Massnahmen, die ergriffen wurden, sind eingebunden ins Schweizerische Sozialversicherungssystem.

Das kann man nicht einfach aufheben, selbst in einer Notlage nicht. Ich finde es auch richtig, dass man keinen Ausnahmezustand schafft.

Es tut mir wahnsinnig leid, dass viele warten müssen. Aber es geht nicht schneller.

Vor drei Monaten versprach das BAK rasche, unbürokratische Hilfe. Mittlerweile wurde erst über ein Fünftel der Gesuche für Ausfallsentschädigungen entschieden und auch die Bearbeitung der Nothilfegesuche dauert. Weshalb?

Es geht um die Berechnung von Ansprüchen. Es geht um ein faires Verfahren. Das braucht eine Datenbasis und Zeit für die Gesuchsbehandlung. Das ist eine Herausforderung für alle. Die Gesuchsanzahl ist derart hoch. Es tut mir wahnsinnig leid, dass viele warten müssen. Aber es geht nicht schneller.

Viele Künstler kommen ohne Corona-Gelder kaum über die Runden. Nehmen Sie in Kauf, dass es eine Art «Flurbereinigung» gibt?

Wir setzen uns von Seiten des Bundes dafür ein, dass es nach der Notrecht-Verordnung, die noch bis zum 20. September gilt, ein Bundesgesetz gibt, das weitere Massnahmen ermöglicht.

Wir sind davon überzeugt, dass die Massnahmen bis weit ins 2021 nötig sein werden – um zu verhindern, dass sowohl strukturell wie auch individuell, das furchtbare Wort der «Flurbereinigung» Realität wird.

Welche Schwächen des Systems wurden durch die Krise sichtbar?

Die Krise hat wie eine Lupe die prekäre Situation von freischaffenden Künstlern gezeigt. Das ist die traurige Bilanz. Im Moment können wir uns nur mit Covid-19 und den Folgen beschäftigen. Aber sobald wir wieder eine Art Normalität haben, muss man die soziale Sicherung von Kulturschaffenden verbessern.

Was muss man konkret verändern?

Den Status von freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern muss man klären. Es ist tragisch, dass aktuell viele durchs Raster fallen oder nur mit geringen Beträgen unterstützt werden können.

Die Frage von Salären für künstlerische Arbeit muss geklärt werden.

Was man machen muss, ist eine Art Sozialsicherungssystem für Künstler aufzubauen. Ich denke da oft an die Künstlersozialkasse in Deutschland und ich glaube, die Schweiz muss diese Diskussion nochmals führen.

Ein Mann in dunkelblauem Jackett.
Legende: Die Krise zeige die prekäre Situation von freischaffenden Künstlern, sagt Philippe Bischof von Pro Helvetia. Keystone / Gaetan Bally

Muss man auch über längerfristige Kultur-Fördermodelle nachdenken?

Faire Künstlerentschädigung ist ein gravierender Punkt. Die Frage von Salären für künstlerische Arbeit muss geklärt werden. Künstler, die nicht-verkaufbare Kunst machen, brauchen für ihre Arbeit eigentlich ein Salär, damit sie davon leben können.

Jetzt ist die Frage: Will man sich das leisten als Gesellschaft? Ich sage: Unbedingt! Denn Kunst kann nicht nur das Gemälde oder die Skulptur sein, die gekauft wird, in eine Galerie, in ein Museum gestellt wird.

Sondern es muss auch unanfassbare, vergängliche Kunst geben, performative, installative Kunst. Auch die hat ihren Preis. Das kann nur mit einer Art von Entschädigung für diese Arbeit gelöst werden.

Das Gespräch führte Fabienne Naegeli.

SRF 1, Kulturplatz, 24.6.2020, 22:25 Uhr;

Meistgelesene Artikel