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Gesellschaft & Religion Kulturkrieger in Krisengebieten

Die deutsche Journalistin Katrin Sandmann berichtete über 15 Jahre lang von verschiedenen Krisenschauplätzen der Welt. Für die Doku-Reihe «Kulturkrieger» suchte sie die Orte nochmal auf und fragte nach dem kulturellen Leben in den von Krieg und Krisen zerstörten Städten und Ländern. Ein Interview.

Vor zehn Jahren, im März 2003, begann der zweite Irak-Krieg. 10 Jahre nach dem Angriff auf den Irak herrscht in Bagdad immer noch kein Frieden, sondern Chaos. Nach wie vor ist die ehemalige Kulturmetropole der arabischen Welt eine der gefährlichsten Städte weltweit. Jederzeit kann die Bevölkerung Opfer eines Anschlags werden. Dennoch oder gerade deswegen stemmen sich Bagdader Künstlerinnen und Musiker verschiedener Disziplinen gegen die Gewalt. Sie machen Musik, Film, Kultur. Die deutsche Reporterin Katrin Sandmann hat sie für die Doku «Kulturkrieger Bagdad» in ihren provisorischen Kulturzentren und Übungslokalen aufgesucht.

Was gab Ihnen den Anstoss zu einer Kulturreportage aus Bagdad und anderen kriegsversehrten Städten?

Katrin Sandmann steht vor dem Grenzübergang zu Palästina.
Legende: Die Journalistin Katrin Sandmann während der Dreharbeiten an der Grenze zu Palästina. Kobalt Productions / Michael Pohl

Katrin Sandmann: Ich habe meinen Magister in Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte gemacht, und obwohl ich dann zum Nachrichtenfernsehen gegangen bin, sind Kunst und Kultur meine absolute Leidenschaft geblieben. Also habe ich in all den Jahren, als ich für die News an den verschiedensten Kriegs- und Krisenorten war, immer auch geschaut, ob es vor Ort eine Kunstszene gibt.

Zu Zeiten Saddam Husseins etwa gab es in Bagdad eine recht grosse Galerien-Szene. Es müssen geschätzt 30 bis 40 Galerien gewesen sein. Da gab es Vernissagen, einen regen Künstleraustausch und viele Käufer und kunstinteressierte Iraker. Und ich habe damals immer gedacht, es wäre doch phantastisch, wenn man den Zuschauern auch einmal zeigen könnte, dass Städte wie Bagdad viel mehr zu bieten haben, als einen durchgedrehten Diktator, Sanktionen und Kriegsgerassel. Die «Kulturkrieger-Reihe» macht genau das, ob in Bagdad, Kabul Mogadischu oder Gaza. 

Was bedeutet Kultur den MusikerInnen, Komponisten und Filmern in Bagdad?

Vielleicht kann man das am besten in den Worten Ranyas, der jungen Hornistin des Irakischen Symphonie Orchesters, ausdrücken: «Musik ist mein Leben! Ohne meine Musik hätte ich die letzten Jahre hier in Bagdad nicht überlebt.»  Dem muss man, glaube ich, nichts mehr hinzufügen. 

Auftritte nur in halbprivatem Rahmen

Die Kulturschaffenden und Musikerinnen, welche sie in ihrem Film vorstellen, sind alle Repression und Gewalt ausgesetzt. Aus welchen Gründen?

Bereits seit 1949 gibt es das Irakische Symphonie Orchester, das MusikerInnen aller Generationen zusammenführt. Das Orchester spielt einerseits westliche klassische Musik wie Beethoven und Orff, andererseits pflegt es die klassische irakische Musiktradition. Trotz des langjährigen Bestehens sind aber auch die Ensemble-Mitglieder tagtäglich Gewalt und Druck ausgesetzt und das Orchester kann heute nur noch in halbprivatem Rahmen auftreten.

Weshalb steht das Irakische Symphonieorchester so unter Druck?

Weil es Kräfte im Irak gibt, die Musik ganz generell als «nicht muslimisch» ansehen, als etwas, das gegen die Religion verstösst, zumindest ihrer eingeengten und mittelalterlichen Interpretation davon. Und dann mag es noch die Kräfte geben, die ein Symphonie Orchester als zu «westlich» ansehen.

Staatliche Subventionen

Wovon leben die Kulturschaffenden in Bagdad?

Im Probenraum des Irakischen Symphonie Orchesters: Im Vordergrund spielt eine Frau Klarinette, im Hintergrund wird einem Mann die Krawatte gebunden.
Legende: Mitglieder des Irakischen Nationalen Symphonie Orchesters vor einer Aufführung in Bagdad. Keystone

Das Symphonie Orchester wird tatsächlich vom Staat bezahlt. Irgendwie haben die Amerikaner es vor ihrem Abzug hinbekommen, dass die Zahlungen für die Musiker geregelt sind. Fragen Sie mich nicht, wie. Für irakische Verhältnisse verdienen sie gar nicht schlecht. Wobei die meisten noch Geld als Musiklehrer oder in ganz anderen Jobs dazuverdienen. Aber das Grundgehalt ermöglicht es ihnen, drei Nachmittage die Woche zu proben oder ihre Instrumente einigermassen in Schuss zu halten. Maler können nur darauf hoffen, dass sie Anschluss an eine ausländische Galerie finden. Im Irak gibt es so gut wie keine Käufer für ihre Werke. Die meisten haben nebenbei noch andere Jobs.

Haben alle Bevölkerungsschichten Zugang zu Kultur - oder ist es eine Sache für eine Elite?

Meist sind es tatsächlich Eliten. Es liegt in der Natur der Sache, dass Menschen, die nicht wissen, wovon sie ihre Familie am nächsten Tag satt bekommen sollen, gar nicht die Möglichkeit haben, sich mit Kultur auseinanderzusetzen. Wenn es ums nackte Überleben geht, spielt Kultur keine Rolle, und das ist den Künstlern natürlich auch bewusst. Trotzdem versuchen sie, möglichst viele Menschen zu erreichen, meist indem sie einfach weitermachen.

Rolling Stone entdeckt Musikszene in Afghanistan

Dass das auch unter erschwerten Bedingungen klappen kann, konnte ich in Kabul beobachten. Da gibt es mittlerweile eine recht rege junge Musikszene, von Heavy Metal bis Grunge und Rap. Das hat vor ein, zwei Jahren mit ein, zwei Bands angefangen. Heute gibt es unzählige Bands und im Sommer hat in Kabul tatsächlich das erste Rock-Festival stattgefunden. Das war phantastisch und sehr, sehr gut besucht. Und siehe da, selbst das Musikmagazin Rolling Stone hat plötzlich die Musikszene in Afghanistan entdeckt.  

Hat sich durch ihre Beschäftigung mit dem Kulturschaffen in ehemaligen Kriegsschauplätzen Ihr eigener Blick auf den Wert von Kunst und Kultur verändert? 

Absolut. Die meisten Kreativen, die ich in den vergangenen Monaten für die Reihe Kulturkrieger getroffen habe, haben mit bewusst gemacht, welch enorme Rolle Kunst und Kultur für die jeweiligen Gesellschaften spielen kann. Gerade in Ländern, in denen freie Meinungsäusserung höchstens auf dem Papier, nicht aber in der Realität vorhanden ist, stehen Künstler oft an vorderster Front, wenn es darum geht, Missstände anzuprangern.

Das gilt für den Irak genauso, wie für Ägypten, Afghanistan oder Somalia. Meiner Meinung nach sind die Künstlerinnen und Künstler sehr oft mutige Vorreiter im Kampf um fundamentale Menschenrechte. 

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