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Gesellschaft & Religion Leihmütter: Schwangerschaft als Erwerbsarbeit

Leihmütter tragen die Kinder anderer Paare aus. In der Schweiz ist diese Praxis verboten. Dennoch suchen sich auch Schweizer Paare eine Leihmutter. Der Weg zum Wunschkind führt sie ins Ausland – und in einen Graubereich des Rechts.

«Du weisst, dass es einer anderen gehört. Du lässt es bloss in deiner Gebärmutter heranwachsen. Danach gibst Du es weg. Deshalb versuchst du, nichts zu spüren. Du sagst dir: Das Kind gehört dir nicht.»

Mit diesen Worten der indischen Leihmutter Papiha beginnt der Dokumentarfilm von Valérie Gudenus, den die Sternstunden am Sonntag in einer TV-Premiere auf SRF1 ausstrahlen. Der Film spielt im Nordwesten Indiens in einer der erfolgreichsten Leihmutterschaftskliniken der Welt.

Ein Baby gegen ein Haus tauschen

Leihmutter Papiha mit Baby
Legende: Leihmutter Papiha hält eines der Zwillingsbabys in den Armen, die sie ausgetragen hat. Gabriela Betscha

Paare aus aller Welt lassen in dieser Klinik ihre Wunschkinder von Frauen austragen, die ihrerseits von einem eigenen Haus, einer Rikscha oder einer Ausbildung für ihre Kinder träumen. Rund 5500 Franken erhalten die Leihmütter für Schwangerschaft und Geburt – für Inderinnen aus der Unterschicht ein Vermögen.

In der Schweiz ist die Leihmutterschaft allerdings gemäss Artikel 119 der Schweizerischen Bundesverfassung verboten. Auch Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien verbieten diese Praxis – während beispielsweise die meisten Staaten der USA, Grossbritannien, die Ukraine, Georgien oder Indien das Austragen fremder Kinder zulassen.

Dunkelziffer in der Schweiz

Paare, die auch mit Hilfe modernster reproduktionsmedizinischer Techniken ungewollt kinderlos bleiben, profitieren in diesen Ländern von der Möglichkeit, einen oder mehrere künstlich befruchtete Embryonen von einer anderen Frau austragen zu lassen. Auch Schweizer Paare wählen zuweilen diesen Weg zum Wunschkind.

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SRF zeigt am kommenden Sonntag um 10 Uhr in einer Sternstunde Thema den Film «Ma Na Sapna – Geliehenes Mutterglück» in einer Fernsehpremiere, gefolgt von einem Gespräch mit der Juristin Andrea Büchler und dem Philosophen Peter Schaber.

Wie viele Schweizerinnen und Schweizer die Dienste von Leihmüttern im Ausland nachfragen, ist nicht bekannt. Gemäss Lukas Iseli vom Bundesamt für Justiz sind die Behörden allerdings regelmässig mit Kindern, die aus Leihmutterschaftsverhältnissen hervorgehen, konfrontiert.

Verboten, aber nicht strafbar

Doch gerade weil die Praxis verboten ist, versuchen die meisten Schweizer Paare zu verheimlichen, dass sie eine Leihmutter engagiert haben. Iseli geht davon aus, dass die biologisch «auffälligen» Konstellationen das grösste Risiko bergen, von den Behörden als Leihmutterschaftsfälle erkannt zu werden. So wirft eine Geburtsurkunde, auf der keine Mutter eingetragen ist, Fragen auf – ebenso wie eine Urkunde, auf der als Mutter eine Frau eingetragen ist, die das gebärfähige Alter offensichtlich überschritten hat.

Strafbar wegen dem Beizug einer Leihmutter machen sich diese Paare dennoch nicht, denn das Schweizer Fortpflanzungsmedizingesetz droht nur Ärzten und Vermittlern von Leihmüttern mit Strafe, nicht aber den Wunscheltern oder der Leihmutter selbst.

Vorsorgen mit Gerichtspapieren

Eine Kamerfrau und eine Tontechnikerin vor einem Strassenstand mit Kindern davor.
Legende: Dreharbeiten zum Film «Ma Na Sapna – Geliehenes Mutterglück» in einem Slum im indischen Anand. zvg

Werden die Schweizer Zivilstandsbehörden, die für die Anerkennung von im Ausland geborenen Kindern zuständig sind, mit einem Leihmutterschaftsfall konfrontiert, lebt das Kind bereits bei den Wunscheltern, entweder in der Schweiz oder aber noch im Ausland. Für eine Einreise in die Schweiz sind allerdings auch fürs Kind gültige Reisepapiere vonnöten.

An solche Papiere zu gelangen, ist in den USA einfach: Dort Geborene werden automatisch amerikanische Staatsbürger aufgrund des geltenden ‚ius soli‘ (dem Geburtsortsprinzip, im Vergleich zu unserem ‚ius sanguinis‘, dem Abstammungsprinzip). In Indien hingegen sind Kinder von Leihmüttern erst einmal staatenlos und dürfen nicht in die Schweiz einreisen, bevor die Elternrechte geregelt sind. In den meisten Fällen ist der Wunschvater auch der genetische Vater des Kindes. Somit können die Leihmutter und ihr Ehemann nachgeburtlich auf ihre Elternschaft verzichten und der Wunschvater kann das Kind anerkennen. Die Wunschmutter kann ein Kindesverhältnis jedoch nur durch Adoption erstellen.

Verbot als Ausdruck von Doppelmoral?

Obwohl die Leihmutterschaft in der Schweiz verboten ist, wird sie von Schweizer Paaren zunehmend nachgefragt. Damit scheint die Schweiz eine unschöne Doppelmoral zu praktizieren, die an das Verbot der Abtreibung erinnert, die zu einem veritablen Abtreibungstourismus von Schweizerinnen in die Niederlande führte.

Das Verbot der Leihmutterschaft wird gemäss Botschaft zum Fortpflanzungsmedizingesetz von 2006 doppelt begründet: Einerseits werde eine Leihmutter instrumentalisiert, andererseits gefährde diese Praxis das Kindswohl, das zum Vertragsgegenstand und somit zum Handelsgut degradiert werde. Ob diese Vorwürfe zutreffen, hängt für Nora Bertschi, die soeben ihre Dissertation zum Thema Leihmutterschaft an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich eingereicht hat, von den konkreten Umständen ab.

Freiwilligkeit als notwendige Bedingung

Erfolgt beispielsweise eine Leihmutterschaft nicht freiwillig oder versteht eine Frau nicht genau, worauf sie sich bei diesem Verfahren einlässt, sind entsprechende Verträge hoch problematisch, sagt Bertschi. Kritiker der Leihmutterschaft sehen allerdings bereits im Umstand, dass die meisten Leihmütter aus Schwellenländern oder aus der Unterschicht stammen – auch in den USA sind es vor allem Latinas und Afroamerikanerinnen, die fremde Kinder austragen – den Beweis erbracht, dass es sich um Ausbeutung handle.

Ein solches Urteil ist allerdings vorschnell. Der Umstand, dass sich Menschen aus materiellen Gründen zu einer Arbeit gezwungen sehen, reicht als Kriterium für Ausbeutung nicht aus – ansonsten würden die meisten Arbeitnehmenden ausgebeutet.

Internationales Abkommen gefordert

Video
Rechtswissenschaftlerin Andrea Büchler zum Verbot in der Schweiz
Aus Kultur Extras vom 27.09.2013.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 23 Sekunden.

Für Nora Bertschi grenzt es überdies an Zynismus, die Leihmutterschaft aus moralischen Gründen zu verbieten im Wissen darum, dass sie zumindest für einige Frauen die einzige Möglichkeit darstellt, aus der Armut auszubrechen. Sie fordert jedoch einen besseren Schutz der Leihmütter, beispielsweise in Form eines internationalen Abkommens, wie es das «Haager Abkommen» im Fall von Adoptionsverfahren darstellt.

In diesem Dokument wird die Zusammenarbeit der involvierten Staaten genau geregelt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Schutz des Kindes. Bertschi drängt überdies darauf, dass den Leihmüttern nach der Geburt eine Bedenkfrist eingeräumt wird, ob sie das Kind wirklich abgeben wollen. Was im Fall von Adoptionen selbstverständlich scheint, ist bei Leihmutterschaften nämlich eine Seltenheit.

Bundesrätlicher Bericht steht aus

Dass man sich mit einem Verbot der Leihmutterschaft in einer globalisierten Welt nicht mehr zufrieden geben kann, ist auch Bundesbern bewusst. Gegenwärtig wird an einem bundesrätlichen Bericht zur Leihmutterschaft gearbeitet, den SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr in einem Postulat eingefordert hat. Gemäss Lukas Iseli soll der Bericht noch binnen Jahresfrist verabschiedet werden. Dass das Verbot der Leihmutterschaft in der Schweiz bald fallen könnte, bezweifelt Bertschi jedoch.

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