Frauenfeindliche Sprüche, Hakenkreuze, Mobbing: Zuletzt sorgte das Verhalten des Ex-Chefredakteurs des «Magazins» für Schlagzeilen und Empörung . Helena Trachsel, Leiterin der Fachstelle Gleichstellung des Kantons Zürich, weiss, warum es auch nach fünf Jahren #MeToo noch zu Machtmissbrauch kommt – und was ihn verhindern kann.
SRF: Wie oft passiert es, dass sich Vorgesetzte missbräuchlich verhalten?
Helena Trachsel: Zu den häufigsten Fällen in meinen Beratungen gehören Vorgesetzte, die sich ihrer Macht nicht bewusst sind. Oder solche, die sich ihrer Macht so sehr bewusst sind, dass sie denken: «Mir ist alles erlaubt.»
Fehlen Firmen die Kontrollmechanismen, um diskriminierendes Verhalten zu ahnden und abzustellen?
Ein Betrieb braucht Vertrauenspersonen und Anlaufstellen, die ohne Einfluss von Vorgesetzten ihre Arbeit machen dürfen. Die Betroffenen müssen sich sicher sein, dass ihnen kein Nachteil erwächst, wenn sie Missstände melden.
Welche Rolle spielt die Scham, wenn Opfer schweigen?
Ich habe kürzlich eine Frau beraten. Sie wiederholte, was viele Betroffenen als erstes sagen. «Ich schäme mich so.» Danach kommt meist die Sorge, was mit der verursachenden Person passieren könnte. Betroffene haben viel Verantwortung, die ihnen ungefragt jemand übergibt, der seine Grenzen nicht kennt.
Was hindert Kolleginnen und Kollegen daran, bei Missbräuchen und Sexismus einzugreifen?
Viele haben sofort das Gefühl, sie könnten die nächste betroffene Person sein. Man schiebt die Verantwortung ab.
Ein faires Arbeitsklima braucht Mut, es braucht Hinsehen.
Eine mächtige Person, eine weniger mächtige Person und keine Zeuginnen und Zeugen: Besonders heikel sind wohl 1:1-Situationen im Sitzungszimmer oder Treppenhaus?
Die Hälfte meiner Beratungsfälle betreffen diese Situationen mit Gefälle und ohne Zeuginnen. In der Beratung schaue ich mit betroffenen Personen: Wie kann ich mich wehren? Was sind die Rechte? Was wären die Konsequenzen? Ich empfehle natürlich, sich zu wehren.
Wenn Sie mit Firmen zu tun haben: Geben Sie Tipps?
Das kann ich nicht. Ich kann aber klar und deutlich sagen, was eine Führungsperson aus Sicht des Diskriminierungsschutzes leisten muss. Alle im System haben ein Anrecht auf ein respektvolles Umfeld.
Können flachere Hierarchien helfen?
Ja. Wir haben ja sogar die Halbgötter in Weiss vom Sockel gestossen. Wir sind alles Menschen. Die einen haben mehr Verantwortung, dafür werden sie besser bezahlt. Zu der Verantwortung gehören Respekt, Fairness und die Einsicht: Die Teamleistung macht den Erfolg aus.
Was empfehlen Sie Firmen im Kampf gegen Sexismus?
Schulungen. Es braucht einen Wertekodex in den Sprachen aller Mitarbeitenden. Da muss zwingend drinstehen, dass jede Form von Diskriminierung per Gesetz verboten ist. Da muss drinstehen, was bei einem Übertreten dieses Verbotes passiert. Ein faires Arbeitsklima braucht Mut, es braucht Hinsehen. Das muss trainiert sein. Regelmässig.
Was empfehlen Sie einem Missbrauchsopfer?
Den Mut zu haben, sich zu wehren. Sich nicht zu schämen. Das Gespräch mit der verursachenden Person zu suchen. Klappt das nicht, sofort andere Menschen einschalten. Alles protokollieren. Nicht ein Jahr zuwarten, sondern sich sagen: «Ich bin es mir wert, die Konsequenzen zu ziehen.»
Was kann ich als Kollege tun, wenn ich Missbrauch beobachte?
Wenn Sie etwas bemerken, von dem Sie denken, das war jetzt nicht ganz okay, dann schreiben Sie es mal auf. Kommt das öfters vor? Wenn ja, ermutigen Sie die Kollegin, Schritte einzuleiten. Will sie das nicht tun, würde ich ihr anbieten: «Ich mache das für dich.»
Das Gespräch führte Raphael Zehnder.
(Dieses Interview ist ein Auszug aus der Sendung «Kultur-Talk ». Die Fragen und Antworten wurden bearbeitet und gekürzt.)