«Ich auch» – so lautet der Titel im Spiegel. Darin berichtet die Journalistin Anuschka Roshani, wie sie Sexismus und Machtmissbrauch von ihrem damaligen Chefredakteur Finn Canonica beim «Magazin» von Tamedia erlebte. Es fielen Sprüche wie «obwohl du eine Frau bist, hast du brilliert!»
Das ist kein Einzelfall. Nach dieser Geschichte berichten auf der Medienplattform elleXX diverse Journalistinnen über ähnliche Erfahrungen. SRF hat mit ihnen gesprochen:
Miriam Suter , Co-Redaktionsleiterin bei elleXX: «Ich habe einen Vorgesetzten gehabt, der mir eigentlich sagte, als junge Frau soll ich mich in Demut üben und nicht so aufmüpfig sein.
Der gleiche Vorgesetzte verschickte auch sehr anzügliche E-Mails an junge Mitarbeiterinnen im gleichen Unternehmen.»
Patrizia Laeri , CEO bei elleXX, über ihre Erfahrungen vor 20 Jahren bei SRF: «In den ersten Wochen bin ich auf einen Redaktor getroffen, der mir Hilfe angeboten hat. Es war alles neu. Ich hatte keine Ahnung von Medien. Ich bin Ökonomin. Es war eigentlich eine Hilfsbereitschaftsmasche, um mit mir am Schluss alleine in einem Raum zu landen, um mich zu küssen.
Ich habe mich dann wirklich gewehrt. Ich sagte ‹bitte hör auf, bitte hör auf›, mehrfach, und er hat gesagt ‹doch, ich will› – bis ich ihn wirklich auch körperlich habe wegstossen müssen. Ich habe das auch niemandem erzählt.»
Samantha Taylor , Redaktorin elleXX: «Ich war Volontärin bei einer kleinen Lokalzeitung in der Zentralschweiz. Mein Chef schrieb mir eines Abends eine SMS und sagte, ich hätte ihn heute wieder so angeschaut und er könne nicht aufhören, an mich zu denken.
Das fand ich megaschlimm und habe ihn dann am nächsten Tag darauf angesprochen und gestellt. Ich sagte ihm, dass das so nicht geht und dass ich irgendwie entsetzt bin. Er fand, ich solle jetzt nicht so übertreiben und nicht so eine grosse Sache daraus machen. Er habe einfach ein Kompliment machen wollen.»
Viele Reaktionen
Dass diese und weitere Frauen offen auf Social Media über ihre Erfahrungen gesprochen hatten, löste viele Reaktionen aus. Es sei überwältigend gewesen, sagt Laeri zu SRF. «Es ist, als wäre ein Damm gebrochen.» Innerhalb von 24 Stunden seien weit über 100 Reaktionen von Journalistinnen gekommen.
Bereits vor zwei Jahren gab es eine öffentliche Debatte zu Sexismus in der Medienbranche. 78 Journalistinnen von Tamedia schrieben einen offenen Brief . Dabei klagten sie eine sexistische Arbeitskultur an. Auch das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS stand 2020 wegen eines Sexismus-Skandals in der Kritik.
«Grosse Machtasymmetrien»
Hat die Medienbranche ein Sexismus-Problem? Ja, sagt Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt. Sie berät Unternehmen in der Präventionsarbeit. «Es wäre erstaunlich, wenn die Medienbranche von dem ausgenommen wäre», so Lavoyer.
Viele Risikofaktoren in der Medienbranche seien gegeben: «Es gibt grosse Machtasymmetrien, viel Abhängigkeiten, sehr grossen alltäglichen Druck in der Arbeit, fehlende Kontrollmechanismen und eben nicht zuletzt höchstwahrscheinlich auch sexistische Kulturen, die immer noch gegeben sind», sagt die Expertin.
Mit der neu lancierten Sexismus-Debatte geraten die Medienhäuser einmal mehr unter Druck.