Allein die Zahl macht sprachlos. Millionen von Frauen haben unter dem Hashtag #metoo von sexuellen Übergriffen, Demütigungen und Gewalt berichtet. Und es werden jeden Tag mehr.
Sprachlos sind vor allem Männer. Sie schweigen, blenden aus und verdrängen.
Der Journalist Christian Gesellmann hat das lange Zeit auch getan. «Mich hat das null berührt. Das ist komplett an mir vorbeigegangen», erzählt er. Bis ihn eine Kollegin in der Redaktion von Krautreporter.de direkt anspricht: «Mich würde interessieren, was du dazu denkst.»
In diesem Moment merkt Christian Gesellmann, dass dieses Ignorieren der #metoo-Debatte andere, tiefere Motive hat, und er schreibt einen Text mit dem Titel «Ich auch» . Darin beschreibt er, wie er eines Nachts von einer Nachbarin sexuell belästigt wurde.
Aber er belässt es nicht dabei. Er denkt über sich und über Männer nach. Über Stereotypen, über erste Erfahrungen mit Sex in der Pubertät, über sexuelle Gewalt in Beziehungen. Ein Text, der bleibt, weil er mehr ist als die Beschreibung persönlicher Betroffenheit Wir haben uns mit ihm über #metoo unterhalten.
SRF: Sie haben diesen Text mit dem Bekenntnis «Ich auch» begonnen und erzählt, wie Sie von einer betrunkenen Nachbarin sexuell belästigt wurden. Warum?
Christian Gesellmann: Das war ziemlich befreiend, weil ich das vorher noch niemandem erzählt hatte. Aber ich habe mich dabei auch schlecht gefühlt, denn eigentlich ist es ja Wahnsinn, mit so einer Szene anzufangen.
Es geht bei #metoo vor allem um sexuelle Gewalt an Frauen, und ich erzähle, wie ich als Mann von einer Nachbarin sexuell belästigt werde. Das ist ja eigentlich total dumm. Da kommt man schnell in den Verdacht, das auf die gleiche Ebene zu stellen.
Warum haben Sie es dennoch getan?
Mir ging es darum zu sagen: Ich bin als Mann mit dem Thema auch konfrontiert. Und zwar auf allen Ebenen. Auch auf der Ebene, die es erst ermöglicht, die tiefer liegenden Strukturen dieses Problems zu erfassen.
Was meinen Sie damit?
Wenn wir über sexuelle Gewalt reden, dann reden wir über eines der grössten Probleme in unserer Gesellschaft. Aber wir sind noch nicht mal so weit, dass wir diese Aussage anerkennen. Wenn du sagst, sexuelle Gewalt sei eines der grössten Probleme unserer Gesellschaft, dann wird die Hälfte der Menschen mit den Schultern zucken und sagen: Du übertreibst.
Warum ist das so?
Weil es einfacher ist, als sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und weil viele Männer auch nicht wissen, wo Fehlverhalten anfängt.
Wir haben das Problem jetzt identifiziert, aber wir haben es noch nicht durchdrungen. Wir haben noch nicht mal verstanden, was alles problematisches Verhalten ist, wo es herkommt, und wie ich selbst es erkennen kann.
Sie haben auf Ihren Text sehr viele Reaktionen bekommen und diese in einem zweiten Text (abopflichtig) beschrieben. Darin schreiben Sie: «Das Thema nervt die meisten Männer. Sie schweigen oder lenken ab und schaffen es trotzdem, die Debatte zu dominieren. Dabei könnte Männern gar nichts Besseres passieren, als jetzt Feminist zu werden.»
Ich habe nach meinem ersten Text viele Emails bekommen von Frauen, die gesagt haben, sie hätten den Essay allen ihren männlichen Freunden geschickt. Die eine Hälfte habe nicht geantwortet und die andere Hälfte sei beleidigt gewesen.
Das ist eine absurde Reaktion: Du beschreibst einen Missstand, der das Leben von vielen Frauen seit Jahrzehnten negativ beeinflusst. Und diejenigen, die sich das eigentlich anhören sollten, sagen erst einmal: Was hab' ich denn damit zu tun?
Diejenigen, die zuhören sollten, sagen erstmal: Was hab' ich denn damit zu tun?
Männer müssten also erst einmal lernen, genau hinzuhören, Unsicherheiten zuzulassen und eigenes sexuelles Verhalten zu hinterfragen.
Wir stecken in dieser Diskussion noch völlig im Urschleim: An dem Punkt, wo wir sexuelle Gewalt überhaupt gemeinsam wahrnehmen und benennen. Ganz oft merkt man, dass diese Benennung nicht stattfindet – sondern dass sexuelle Übergriffe als Normalität gesehen werden.
Dass es die Vorstellung gibt, dass ein Mann ein gewisses Recht über eine Frau hat – ganz egal, ob die nun erst seit drei Tagen ein Pärchen sind oder verheiratet. Das ist der Urschleim, in dem wir immer noch feststecken.
Wir haben das Problem identifiziert, aber noch nicht durchdrungen.
Was müssten Frauen tun, damit Männer beginnen zu lernen?
In meinem Text habe ich geschrieben, dass ich mir eins wünsche: Dass Frauen Männern öfter sagen, wenn sie Idioten sind.
Das Gespräch führte Eduard Erne.
Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 22.11.2017, 22.25 Uhr