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Die Lehren aus #metoo Was Frau tun kann – und was Mann noch tun darf

Aus einem # ist eine globale Kampagne geworden: Eine Expertin für Gleichstellungsfragen sagt, warum diese wichtig ist – und was übrig bleibt.

Kevin Spacey und Harvey Weinstein in den USA oder Peter Pilz in Österreich: Das sind nur drei Namen von Männern, die derzeit Schlagzeilen machen, weil sie Männer oder Frauen sexuell belästigt oder missbraucht haben sollen.

Das Phänomen ist nicht neu. Doch die Debatte auf Facebook und Twitter ist heftig wie nie zuvor. Millionen von Frauen – und auch einige Männer – outen sich als Opfer unter dem Hashtag #metoo. Und jetzt? Ändert sich etwas im Verhältnis der Geschlechter?

Die deutsche Politikwissenschaftlerin Birgit Meyer forscht seit Jahren über Männer und Frauen in hierarchischen Beziehungen, und sie war Gleichstellungsbeauftragte an ihrer Hochschule in Esslingen. Im Tagesgespräch von Radio SRF erklärt sie, warum #metoo so wichtig ist – und welche Langzeitfolgen das Massenphänomen haben könnte.

Das Ende des Schweigens

Meyer spricht mit Blick auf die zahllosen Enthüllungen von einem Dammbruch: «Es kommt eine Welle von bislang zurückgehaltenen Anklagen, die schon latent da waren.» Schon vorher hätten sich viele Missbrauchsopfer im privaten Umfeld anvertraut: «Oft hiess es dann aber: ‹Das ist doch nicht möglich›, oder ‹Das kann auf dich zurückfallen, sag besser nichts!›»

Es ist ein Dammbruch: Man wagt sich nun daran, auch Prominente und Mächtige anzuprangern.

Diesmal aber reisst die Welle an Enthüllungen, wie der Fall des Hollywood-Moguls Weinstein zeigt, auch die Mächtigen mit. Jetzt bilde sich, befeuert durch die sozialen Medien, eine neue Einsicht heraus: «Das muss aufhören!»

#metoo als Eisbrecher

Allerdings: Das Internet samt seinen Möglichkeiten, sich zu vernetzen, ist nicht neu. Dass sich #metoo zu einem wahren Flächenbrand ausgewachsen hat, ist für Meyer eng mit der einen Erkenntnis verbunden: Da draussen sind noch andere, die das gleiche erlebt haben wie ich. «Studien aus Amerika belegen, dass sich viele Frauen, aber auch Männer durchschnittlich fünf Personen anvertrauen, bis ihnen die Sechste glaubt», sagt Meyer.

Es gab diese Ungeheuerlichkeit, dass ich über etwas spreche, mir aber niemand glaubt.

Wie bei den sexuellen Missbräuchen in der katholischen Kirche, die lange bekannt waren, aber verschwiegen wurden, habe es einen Auslöser gebraucht: «Bei der Kirche brachte ein einzelnes Buch den Stein ins Rollen», so Meyer. Dasselbe Phänomen liesse sich nun mit dem Hashtag #metoo beobachten.

Das Machtkartell wird aufgebrochen

In Hollywood stellen arrivierte Schauspielerinnen ihre Peiniger an den Pranger, im EU-Parlament waren es gestandene Politikerinnen , die aufstanden und sich wehrten: #metoo rüttelt am Inneren der Macht: «Es ist wichtig, dass sich gestandene Politikerinnen outen», sagt Meyer. Gerade Politik sei ein geschlossenes System, das von Hierarchien und Abhängigkeiten geprägt sei: «Politiker in einer bestimmten Position können ihre Beziehung zu Nachwuchspolitikerinnen auf eine sexuelle Ebene bringen und ihnen gewisse Posten versprechen.»

Der Nebel der Reputation hat die Institutionen geschützt. Jetzt geht ein wichtiger Impuls durch diese abgeschotteten Welten.

Dass Alpha-Tiere ihre «Machtgelüste, ihr Gefühl der Omnipotenz» künftig im Zaum halten, glaubt Meyer zwar nicht: «Aber vielleicht haben wir durch die Kampagne eine politische und institutionelle Kultur geschaffen, die das nicht mehr billigt.»

Hinschauen statt Wegschauen

Damit die Kultur der ganz alltäglichen Grenzverletzungen endet, dürfe die aktuelle Debatte kein Hype in den sozialen Medien bleiben, meint die Politikwissenschaftlerin: «Jetzt redet alle Welt darüber, aber was folgt dann? Es darf nicht sein, dass wir nach dem nächsten grossen Ereignis wieder zur Tagesordnung übergehen.»

Wir leben in einer Kultur, in der männliche Grenzverletzungen auf Jüngere oder generell ‹Unterlegene› gang und gäbe sind.

Damit das gelingt, müssten sich alle verpflichten, nicht wegzuschauen: «Männer müssen sensibler dafür werden, wenn andere Männer Grenzen verletzen.» Derartiges Verhalten dürfe nicht mit Floskeln wie «Der macht das ja immer» oder «Er ist halt ein Flirter» abgetan werden: «Man muss es ansprechen. Auch wenn man sich damit nicht beliebt macht.» Das gelte allerdings auch für Frauen.

Kein Generalverdacht gegen Männer

Das Spektrum der Vorwürfe, die nun erhoben werden, ist gross: Es reicht von Vergewaltigungen über «unabsichtliche» Berührungen bis hin zu verbalen Anzüglichkeiten. #metoo schürt denn auch bei manchen Männern eine gewisse Verunsicherung: Wo verläuft die Grenze des Erlaubten, droht schon ein Feierabendbier, eine gemeinsame Liftfahrt ungemütlich zu enden?

Wir wollen keine sterile, völlig flirtfreie Atmosphäre am Arbeitsplatz. Das wäre zu viel der Political Correctness.

Entscheidend sei der Kontext, sagt Meyer: Die Stellung des Mannes, die konkrete Handlung wie auch die Absicht dahinter. Die Grenze zieht die Politikwissenschaftlerin da, wo Machtverhältnisse und Abhängigkeiten gezielt ausgenutzt werden: «Es geht um eine unerwünschte Belästigung, die in der Hierarchie von oben nach unten abläuft.»

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