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Missbrauch an Ordensschwestern «Ich bin sprachlos und wütend»

Der Dokumentarfilm «Gottes missbrauchte Dienerinnen» thematisiert, wie in verschiedensten Ländern über Jahrzehnte systematisch Nonnen missbraucht wurden. Er hat die Schweizer Benediktinerin und Priorin Irene Gassmann aufgewühlt.

Der Dokumentarfilm schlug hohe Wellen – und rüttelt auch Schweizer Ordensfrauen auf. Etwa die Schwestern des Klosters Fahr. Sie haben sich den Film gemeinsam angesehen. Priorin Irene Gassmann erzählt im Gespräch, was der Film in ihr ausgelöst hat.

Irene Gassmann

Priorin Kloster Fahr

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Irene Gassmann ist Vorsteherin des Klosters Fahr. Im Kloster leben 20 Benediktinerinnen. Es gehört zur Abtei in Einsiedeln und ist dem dortigen Abt unterstellt.

Irene Gassmann lebt sein 32 Jahren im Kloster, seit 2003 leitet sie es. Sie hat sich bereits in der Vergangenheit für mehr Gleichberechtigung in der römisch-katholischen Kirche eingesetzt.

SRF: Was hat der Film «Gottes missbrauchte Dienerinnen» bei Ihnen und Ihren Mitschwestern ausgelöst?

Irene Gassmann: Der Film war harte Kost. Er machte mich sehr betroffen, ohnmächtig, sprachlos, aber auch wütend.

Im Film geht es um Ordensschwestern, die weltweit auf verschiedenste Arten missbraucht wurden. Sie sind selber Nonne. Haben Sie eine Erklärung, wie es zu den Missbrauchsfällen kommen konnte?

Ich denke, es hat mit dem Machtgefüge in unserer Kirche zu tun. Wir Ordensfrauen sind auf die Männer, die Priester angewiesen. Etwa wenn es darum geht, die Sakramente zu empfangen. Aber auch, wenn es darum geht, in Rom gehört zu werden. Damit sind die Männer höher gestellt – und das wirkt sich im Alltag aus.

Eine gute Schwester war unterwürfig und gehorsam.

Haben Sie solche Auswirkungen selber erlebt?

In meiner Anfangszeit im Kloster hatten wir einen Probst (einen Stellvertreter des Abtes) und einen Priester. Für sie wurde in der Küche spezielles Essen gekocht. Sie erhielten etwa auch in der Fastenzeit ein Dessert.

Die Nonnen haben den Männern gedient. Eine gute Schwester war unterwürfig und gehorsam.

Gilt das heute immer noch?

Wir Nonnen hier in Fahr lassen uns das nicht mehr gefallen, nein. Aber die Priester, gerade die jungen, haben immer noch ein sehr grosses Selbstbewusstsein. Sie wissen: Die Kirche ist auf sie angewiesen.

Es ändert sich nur etwas, wenn Ämter für Männer und Frauen zugänglich sind.

Der Film deckt weltweit Fälle von Missbrauch auf. Wissen Sie etwas über solche Fälle in der Schweiz?

Mir sind keine sexuellen Übergriffe bei Ordensfrauen bekannt. Das heisst aber natürlich nicht, dass es sie nicht gegeben hat.

Was müsste sich ändern?

Das Machtgefüge. Dass alle, Frauen und Männer, durch die Taufe gleich sind, vollwertige Mitglieder der Kirche: Dieses Bewusstsein müsste sich durchsetzen.

Es ändert sich nur etwas, wenn alle Entscheidungen gemeinsam getroffen werden und die Ämter für Männer und Frauen zugänglich sind.

Glauben Sie, dass der Film auch in Rom etwas auslöst?

Ja. Durch diesen Film ist die Welt aufgerüttelt. Rom kann die Augen nicht mehr verschliessen. Aber es wird ein weiter Weg.

Das Gespräch führte Norbert Bischofberger.

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