Zum Inhalt springen

Sexuell missbrauchte Nonnen «Solange die Opfer schweigen, werden die Täter geschützt»

Papst Franziskus hat zugegeben, dass es Fälle gibt, in denen Nonnen von Geistlichen sexuell missbraucht worden sind. Sein Vorgänger, Papst Benedikt XVI. habe genau wegen solcher Vorfälle ein Kloster in Frankreich geschlossen. In Indien wurde vor einem Jahr ein Bischof wegen Vergewaltigung festgenommen. Wie steht es in der Schweiz? SRF-Inlandredaktor Iwan Santoro hat sich erkundigt.

Iwan Santoro

SRF-Inlandredaktor

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Santoro arbeitet seit 2013 bei Radio SRF und ist seit 2016 in der Inland-Redaktion tätig.

SRF News: Wie ist die Situation in der Schweiz? Haben Sie etwas herausgefunden?

Iwan Santoro: Ich habe mit mehreren Nonnen und Ordensschwestern gesprochen. Alle haben mir gesagt, ihnen seien keine Übergriffe auf Nonnen oder Schwestern in der Schweiz bekannt, auch nicht aus der Vergangenheit. Das ist auch das, was die Bischofskonferenz sagt. So führt die kircheninterne Fachstelle Sexuelle Übergriffe der Schweizer Bischofskonferenz seit 2002 eine Statistik, in der alle sexuellen Übergriffe innerhalb der Kirche festgehalten werden. Darunter sei kein einziger Fall, in welchem eine Ordensfrau von einem Priester sexuell missbraucht worden sei, sagte ein Sprecher unlängst gegenüber der katholischen Nachrichtenagentur kath.ch.

Sind die Priorinnen oder die Schwestern und Nonnen überrascht von den Aussagen des Papstes?

Wirklich überrascht war keine der von mir angefragten Priorinnen und Ordensschwestern. Schwester Simone, Priorin des Klosters Heiligkreuz in Cham und Präsidentin der Vereinigung der Ordensoberinnen – sie ist Vorsteherin von rund 1300 Schwestern in der Deutschschweiz und in Liechtenstein – sagt zu den Äusserungen des Papstes, dass das innerkirchlich längst ein Thema sei, nicht in der Schweiz, aber in anderen Ländern.

Die Kirche kann noch so viele Fachgremien und Anlaufstellen einrichten, so lange die Opfer schweigen, werden die Täter geschützt.

Vor allem aus Afrika habe sie von Fällen gehört, wo Ordensschwestern missbraucht worden seien. «Es sind Geistliche, die Gemeinschaften von Frauen betreuen und diese Frauen mit irgendwelchen Versprechungen missbrauchen, zum Beispiel, dass sie studieren dürften. In einem Fall war es ein Bischof», sagte mir Schwester Simone.

Gibt es in der Schweiz eine Anlaufstelle, an die sich betroffene Nonnen wenden können?

Ja, in allen Bistümern gibt es ein Fachgremium sexuelle Übergriffe. Dort können sich Opfer von sexuellen Übergriffen – seien es Kinder, Jugendliche oder eben auch Nonnen und Schwestern – an eine unabhängige Fachperson wenden. Das sind Psychologen, Juristen, Ärzte. Sie unterstehen der Schweigepflicht. Sie können die nötigen Schritte einleiten, wenn gewünscht. Aber bisher ist kein einziger Fall einer Nonne oder Schwester bekannt, die das in Anspruch genommen hat.

Vor ein paar Monaten hat eine frühere Nonne Schlagzeilen gemacht. Sie war in Rom vergewaltigt worden. Was ist ihre wichtigste Botschaft?

Die heute 34-jährige Philosophin und Theologin Doris Wagner schreibt Bücher für die Opfer. Sie hat auch in dem Film «Female Pleasure» mitgewirkt. Das ist ihr Beitrag gegen das Schweigen. Denn die Kirche kann noch so viele Fachgremien und Anlaufstellen einrichten, solange die Opfer schweigen, werden die Täter geschützt. Wagner sagt denn auch immer wieder, dass das ganze System darauf beruhe, dass die Opfer nicht reden. Das will sie mit ihrem Engagement durchbrechen.

Wird nun etwas unternommen?

Papst Franziskus hat versprochen, mehr im Kampf gegen sexuellen Missbrauch innerhalb der Kirche zu tun. Das nimmt sich die Schweizer Bischofskonferenz zu Herzen. Sie will an ihrer nächsten Sitzung von Ende Februar neue Massnahmen gegen sexuellen Missbrauch innerhalb der Kirche verabschieden.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Meistgelesene Artikel