Zum Inhalt springen

Onlinebetrug Tatort Internet – ein Betrugsopfer und ein Polizist berichten

Verbrechen im Netz nehmen zu. Die Dunkelziffer ist enorm. Ein Betroffener erzählt, wie er zum Betrugsopfer wurde. Der Cybercrime-Chef der Kantonspolizei Zürich sagt: «Es kann jeden treffen.» Doch wie kann man sich schützen?

Die Statistiken sind alarmierend: Sieben von zehn Internetnutzerinnen und Internetnutzern waren 2023 in Deutschland von Cyberkriminalität betroffen. «Es könnten auch zehn von zehn sein», sagt Serdar Günal Rütsche, Chef Cybercrime bei der Kantonspolizei Zürich. Cyberkriminalität könne jeden treffen.

Einer, den es getroffen hat, ist der 22-jährige Marc. In Wirklichkeit heisst er anders. Marc sucht einen Job und wendet sich an ein Temporärbüro. Kurz darauf erhält er ein Angebot über Whatsapp. Er nimmt an, in einer Datenbank für Jobsuchende gelandet zu sein. «Ich dachte, mir das anzuhören kostet nichts.» Was er nicht ahnt: Das wird ihn teuer zu stehen kommen.

Innert zwei Wochen verliert Marc durch diesen Internet-Job 15'000 Franken. Geld, das er als Lehrling angespart hatte.

Illustration mit schnellen und groben Strichen. Eine Person sitzt an einem PC und hat verschiedene Fenster geöffnet.
Legende: Online einfach Geld verdienen! Cyberbetrüger ködern ihre Opfer mit grossen Versprechen. Marc fiel auf einen solchen «Task Scam» hinein. Colourbox

Auf Anleitung seines neuen «Arbeitgebers» legte Marc online ein Konto an. Er sollte als «E-Commerce-Product-Booster» arbeiten. «Im Konto gibt es einen Knopf, auf dem ‹boost› steht. Jeden Tag ploppen 40 Produkte auf. Mein Job war es, bei jedem Produkt auf ‹boost› zu drücken, dann auf ‹okay›. Und so weiter.» So weit, so simpel.

Das schnelle Geld?

«Um anzufangen, musste man auf das Konto 50 US-Dollar in Kryptowährung einzahlen.» Auf dem Bildschirm erscheint zum Beispiel eine Kamera für 200 Franken. Boost. Okay. Kommission: ein Prozent. «Zwei Franken mal 40 Produkte macht 80 Franken. Wenn man das verdienen kann, ohne viel dafür zu tun, ist das praktisch.»

Der Verdienst wurde Marc gutgeschrieben. Schnell erreichte der «Job» eine neue Stufe: «Hatte man die 40 Produkte durch, konnte man nochmals 40 machen. Darunter gab es bis zu drei ‹package products›.

Die waren teurer. Sprich: Du hast mehr Geld verdient, musstest aber zuerst die Hälfte ihres Werts einzahlen. Bei einem Fernseher für 500 Dollar also 250. Ich booste das – und bekomme drei Prozent.» Sein kurzzeitig eingezahltes Geld erhält er zurück.

Zwei Wochen habe das funktioniert, sagt er: «Danach kamen Riesenbeträge: 1000 Franken, 5000 und das dritte ‹package› 10'000. Bis dahin hatte ich eingezahlt. Da habe ich die 15'000 liegen lassen. Weil es vorher – auch mit hohen Beträgen – funktioniert hatte.»

Vertrauen missbraucht

Marc war die ganze Zeit per Whatsapp in Kontakt mit seinem «Arbeitgeber». «Er hat mir versichert: Zahl ein, dann kommt’s gut, du bekommst dein Geld zurück.» Ausserdem nahm Marc an einem Gruppenchat teil. «Dort sah man Videos und Fotos von angeblichen Treffen mit dem ‹Arbeitgeber›. Vieles wirkte sehr echt.» Die Chats dienten dazu, Befürchtungen der Mitarbeitenden zu zerstreuen.

Es sah so aus, als funktioniere es bei allen.
Autor: Marc (Name geändert) Opfer von Internetbetrug

«Immer wieder kamen neue Leute dazu, die auch skeptisch waren. Die Admins antworteten ihnen. Es sah aus, als funktioniere es bei allen.» Bis heute weiss er nicht, welche Chatteilnehmer in die Masche eingeweiht waren.

«Als das vierte ‹package› kam, sagte ich: ‹Hey, so viel Geld habe ich nicht.› Zuerst wollten sie mich motivieren, einen Kredit aufzunehmen oder Eltern und Freunde um Geld zu fragen. Als ich abgelehnt habe, haben sie es schleifen lassen, und ich habe auch aufgehört, ihnen zu schreiben.»

Anzeige hat Marc nicht erstattet: «Ich arbeite den ganzen Tag und die Polizei hat nur zu Bürozeiten offen. Und letztlich nützt eine Anzeige nichts. Das bringt das Geld nicht zurück.»

Erschreckende Zahlen

Jürgen Stock, Generalsekretär von Interpol, schätzte den weltweiten Schaden durch Cybercrime gegenüber der «Süddeutschen Zeitung» auf zehn Billionen US-Dollar im Jahr. 10'000 Milliarden Dollar: Die Zahlen des deutschen Digitalverbands Bitkom zeichnen ebenfalls ein bedenkliches Bild der Sicherheitslage im Netz.

Online Betrug anzeigen

Box aufklappen Box zuklappen
Eine Website mit bunten Kacheln
Legende: Bildschirmfoto

Über das offizielle, elektronische Anzeigenportal «Suisse ePolice» der Schweizer Polizeien können Sie Cybercrime zur Anzeige bringen. Alle dort erfassten Meldungen gehen automatisch an das zuständige Polizeikorps.

Die polizeiliche Kriminalstatistik der Schweiz verzeichnet für 2023 insgesamt 43'839 Fälle «mit einem digitalen Modus Operandi», wie es heisst. Die Zunahme gegenüber dem Vorjahr beträgt volle 31 Prozent. Betrug (23’399 Anzeigen) findet zu 80 Prozent digital statt.

Wenige bringen Cybercrime zur Anzeige

Weitere häufige Cyberdelikte sind der betrügerische Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage (7236), also zum Beispiel der Einkauf mit gestohlener Kreditkarte und Geldwäscherei (4096). Es folgen Pornografie (2535), unbefugte Datenbeschaffung (1682) und Erpressung (1319). Ehrverletzungsdelikte sind weniger häufig als gemeinhin angenommen (528 Fälle).

Die Dunkelziffer ist enorm. Sie verzerrt das Bild. Bloss 14 Prozent der Geschädigten melden sich bei der Polizei, hält Bitkom für Deutschland fest. Auf zehn Prozent kommt eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Universität St. Gallen.

Scham führt zu enormer Dunkelziffer

«Andere schätzen die Dunkelziffer auf das Zwanzigfache», sagt Serdar Günal Rütsche, Chef Cybercrime der Kantonspolizei Zürich. «Der Weg zur Polizei scheint nicht ganz einfach zu sein», erklärt er. «Man muss zu einer Polizeistation und den Sachverhalt schildern, weiss aber schon im Voraus, dass man diese Beträge nicht zurückerhält. Vielleicht schämt man sich auch dafür, dass man hereingefallen ist.»

Die Polizei versuche deshalb, Anzeigen zu vereinfachen, etwa über das Online-Portal Suisse E-Police.

Ein Mann mit kurzen Haaren und im Anzug. Im Hintergrund ein Poster mit der Aufschrift «Cybercrime, Police.ch»
Legende: «Cyberbetrug kann jeden treffen», sagt Serdar Günal Rütsche von der Kantonspolizei Zürich. Es sei wichtig, jeden Fall zur Anzeige zu bringen. Nur so kann die Polizei Muster erkennen. Kantonspolizei Zürich

Den durchschnittlichen Schaden beziffert Bitkom mit 262 Euro. Sehr oft handelt es sich dabei um «Massendelikte», betont Rütsche. Gefälschte Zahlungsaufforderungen, um ein «am Zoll zurückgehaltenes Paket» auszulösen; bezahlte, nie gelieferte Produkte; gefälschte Wohnungsinserate … auch kleine Schäden anzuzeigen, wäre hilfreich.

Sendehinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Der Club beschäftigt sich am 16. April mit dem Thema Telefonbetrug. Unsere Gäste, darunter Journalist Cedric Schild, Kantonspolizist Peter Becher und zwei Betroffene, sprechen über Betrugsmaschen wie Schockanrufe, Lovescams und Phishing. «Die Enkeltrickbetrüger: Wie Kriminelle Senioren betrügen» , SRF 1, 16. April, 22:25 Uhr.

«Sobald wir mehrere Delikte sehen, erkennen wir Serien, einen Modus Operandi. Wir hören vielleicht eine Sprache und können ungefähr definieren, ob es Callcenter im Ausland sind, die so vorgehen. So haben wir viel grössere Chancen, eine Täterschaft zu ermitteln.»

Bei Online-Investment-Betrug sind die Verluste enorm. Der «Kassensturz» hat über eine Ostschweizerin berichtet, die online um 850'000 Euro betrogen wurde. Der «Berater» bearbeitete sie über Monate. Er zog ihr nach und nach das Kapital aus der Tasche, das sie ursprünglich fürs Alter vorgesehen hatte.

Wie vor Cybercrime schützen?

Gegen Internetbetrug geht die Polizei zum einen repressiv vor. Sie wertet etwa sichergestellte Computer und Mobiltelefone aus, um Spuren zu finden. «Wir suchen gezielt nach Beweismitteln, nach der Nadel im Heuhaufen», sagt Serdar Günal Rütsche.

Internetkriminalität: Wie kann man sich schützen?

Box aufklappen Box zuklappen

Die Schweizerische Kriminalprävention gibt ausführliche Hinweise und Ratschläge zu:

Das können Sie tun, bevor Sie ein Angebot annehmen:

  • Nehmen Sie sich Zeit und informieren Sie sich an vielen verschiedenen Stellen
  • Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen
  • Vertrauen Sie nie jemandem Geld an, den Sie nur virtuell kennen
  • Überprüfen Sie die Vertrauenswürdigkeit von Websites bei Scamadviser
  • Wenden Sie sich für eine Einschätzung an eine Fachperson Ihres Vertrauens.

Doch die Datenmengen sind enorm. Wie viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich bei der Kantonspolizei Zürich mit Cybercrime befassen, verrät er nicht.

«Wir können sicher nicht im Internet fischen und alle Delikte klären. Wenn wir aber Serien erkennen, werden entsprechende Prioritäten gesetzt», sagt Rütsche. Im internationalen Kontext sei die Schweizer Polizei einfach eine Strafverfolgungsbehörde unter vielen. Aber man dürfe nicht vergessen, dass die Kraft aller Behörden der Welt grosse Wirkung zeige.

Illustration: Auf dem Bildschirm eines Mobiltelefons ist ein App-Icon mit Sparschwein. Darum Absperrband und Polizisten.
Legende: Tatort: Smartphone, Tablet, Laptop & Co. Die Polizei ist immer wieder mit neuen Online-Betrugsmaschen konfrontiert. Getty Images / Moor Studio

Zum anderen leistet die Polizei präventiv einiges. Sie beteiligt sich an den Aufklärungskampagnen der Schweizerischen Kriminalprävention und des Bundesamts für Cybersicherheit (BACS). Sie warnt mit einer Bank auf deren Website vor Phishing-Versuchen. Polizeikräfte besuchen Schulen und sprechen über die Anwendung von mobilen Geräten und Cybermobbing.

Vorsicht ist besser als Nachsicht

Der Chef Cybercrime der Kantonspolizei Zürich hebt die Präventionsarbeit der Behörden hervor. Schliesslich rät er, ganz einfach, aber wirksam: «Sobald ich ein komisches Gefühl habe, muss ich das Vier-Augen-Prinzip anwenden: Ich spreche mit jemandem darüber und erkläre, was ich vorhabe. Und ich recherchiere kurz.»

Marc sagt, heute sei er «weniger gutgläubig». Doch sein Erspartes ist weg. Er lerne jetzt, mit wenig Geld auszukommen.

Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 12.4.2024, 9:05 Uhr

Meistgelesene Artikel