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Phänomen Femcels Kein Sex – aber viel Hass auf die Männer und sich selbst

Sexuell frustriert, einsam und voller Wut: Femcels befeuern im Netz eine «toxische Weiblichkeit». Was soll das?

Internetphänomene sind wie geheime Clubs in einer grossen Stadt: Es gibt verschiedene Gemeinschaften, die ihre eigenen Events und Allüren haben. Im Netz haben sich junge Frauen, sogenannte Femcels, zusammengetan und zelebrieren gemeinsam ihren Hass auf Männer und andere Frauen.

Ähnlich wie beim Szeneclub fühlen sich nur bestimmte Personen zugehörig. Auf Reddit, Twitter, Instagram und Tiktok posten Femcels Fotos, wie sie mit strähnigem Haar vor einem vermüllten Schreibtisch sitzen oder mit traurigen Augen in die Kamera blicken. Andere Posts zeigen Memes, in denen sich die Femcels über ihre Einsamkeit beklagen.

Leben ohne Sex und Dates

Hinter einer Femcel verbirgt sich eine junge Frau, die in einem unfreiwilligen Zölibat lebt. Sie hat keinen Sex, keine Dates und keine romantischen Beziehungen mit Männern, obwohl sie es vielleicht möchte.

Der Ausdruck Femcel erscheint äquivalent zur bereits bekannteren Gruppe der Incels, die Kurzform für «Involuntary Celibate»: sexuell frustrierte Männer, die ebenfalls unfreiwillig zölibatär leben und die sich im Netz zusammenrotten, wo sie ihren Frauenhass ausleben und Verschwörungsgedanken austauschen.

Eine Frau mit blondem Kurzharrschnitt und einer schwarzen runden Brille lächelt . Die linke Hand stützt das Gesicht.
Legende: Veronika Kracher, 1990 in München geboren, recherchiert seit Jahren zur Incel-Kultur. In diversen Internetforen stiess sie auch auf Femcels. Dennis Pesch

«Ein Incel betrachtet sich selbst als zu unattraktiv, um eine Partnerin zu bekommen», erklärt Veronika Kracher, Autorin des Buchs «Incels: Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults». «In ihrem patriarchalen Anspruchsdenken glauben diese Männer, dass ihnen Sex zusteht und sie Frauen dafür abstrafen können.»

Eine gefährliche Mischung

Der Begriff Incel tauchte erstmals in den 1990er-Jahren auf, als eine bisexuelle Frau unter gleichem Namen eine Selbsthilfegruppe gründete – «unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung», sagt Kracher.

Erst Ende der 2000er-Jahre beanspruchten vornehmlich weisse Männer den Ausdruck für sich. In Internetforen wie «4chan» äussern sie sich nicht nur frauenverachtend, sondern schildern auch explizite Gewalt- und Vergewaltigungsfantasien.  

Die Geschäftsleiterin des Vereins NetzCourage, Jolanda Spiess, recherchiert zu Incels in der Schweiz. Dabei sei sie auf alarmierende Vorkommnisse gestossen: «Die Incel-Kultur ist eine Schnittmenge aus allen extremen Ecken. Da haben wir Rechtsextreme, Linksextreme, Islamisten, und überall gibt es obendrauf noch Frauenhass.»

Immer wieder entlarven sich Amokläufer in Internetforen oder Manifesten als Incel-Aktivisten, wie 2019 in Christchurch und in Halle und 2018 in Toronto . Als vergleichbare Verhaltensmuster der Incels und Femcels sieht Spiess das «Selbstmitleid, anderen die Schuld zuzuweisen und sich nicht um Anschluss zu bemühen».

Toxische Weiblichkeit

Die Gründe, warum Femcels zwangsweise keusch leben, sind im Vergleich zu den Incels jedoch andere. Von Belang sind die starken Gefühle von Teenagermädchen: Existenzangst, Selbstzweifel und depressive Stimmung spiegeln sich in den Memes der Femcels wider. «Vor allem auf Tiktok und Instagram geht es um das Zurückerobern weiblichen Losertums», so Veronika Kracher.

Das Heischen um Aufmerksamkeit funktioniert nicht wie sonst üblich in den sozialen Netzwerken über normative Schönheitsideale und perfekte Wohnungseinrichtungen, sondern über das weibliche Scheitern. Femcels sind überzeugt, dass sie nicht attraktiv genug sind.

Die aufkeimende Wut und den Hass, den Femcels oftmals gegen sich selbst richten, bezeichnet Kracher als das «Zelebrieren toxischer Weiblichkeit». In der Ästhetisierung von psychischen Erkrankungen erkennt sie Parallelen zur «Sad Girls»-Kultur, die um 2014 weltweit auf Tumblr-Dashboards auftauchte.

Darin sieht Jolanda Spiess eine Gefahr: «Psychische Erkrankungen in Memes darzustellen, selbstverständlich die Antidepressiv-Verpackung zu zeigen und das so zu normalisieren, finde ich brandgefährlich.» Vor allem nach der Coronazeit , in der viele Teenager gelitten hätten, beunruhige es, wenn mit mentaler Gesundheit kokettiert werde.

Opfer von Missbrauch und Mobbing

Auf Tiktok erhält der Hashtag schnell mal über eine Million Aufrufe. Popkulturelle Referenzen verhelfen dem Trend zur Ästhetisierung: Auf der Plattform preisen Femcels die Musik von Lana Del Rey und Amy Winehouse, vergöttern die Protagonistin aus der britischen Serie «Fleabag» und die von Angelina Jolie gespielte Lisa Rowe aus dem Psycho-Drama «Girl, Interrupted». Sie lesen Bücher von Sylvia Plath und lieben Filme wie «The Virgin Suicides».

Andere sprechen offen über ihre Erfahrung mit sexualisierter Gewalt und Mobbing. Sie kapseln sich absichtlich von Männern ab und ziehen sich in eine Opferposition zurück. Der grosse Unterschied zu Incels ist oftmals «eine Gewalterfahrung, die sie erst zu Femcels werden lässt», erklärt Expertin Spiess.

Die Unzufriedenheit mit heterosexuellen Beziehungen spiegelt sich auch im Begriff Heteropessimismus wider, den die Schriftstellerin Asa Seresin prägte und den Medien immer öfters aufgreifen. Er soll dem wachsenden Gefühl der tiefen Enttäuschung oder Verzweiflung von Frauen Ausdruck verleihen, die schlechte Erfahrungen mit Dating und Männern gemacht haben.

Hass auf «Staceys» und «Beckys»

Die unfreiwillig keusch Lebenden wehren sich zwar gegen Sexismus, aber sie verstehen sich nicht als Feministinnen. Laut Kracher wollen Femcels das Patriarchat weder bekämpfen noch sich solidarisch mit allen Frauen stellen: «Politische Kämpfe fallen bei dieser Subkultur, die sich auf Depressionen, schwarzen Nihilismus und Zynismus beruft, weg.»

Ich glaube nicht, dass Femcels gewaltverherrlichend oder potenziell gewalttätig sein könnten.
Autor: Jolanda Spiess Geschäftsleiterin Verein NetzCourage

Neben Männern verachten Femcels auch Transfrauen, weil sie diese für noch marginalisierter als sich selbst halten, meint die Autorin. Das eigene Leid scheine dadurch weniger schlimm.

Ausserdem hassen sie andere Frauen, sogenannte «Staceys», die vermeintlich besser aussehen und deswegen Erfolg und Anerkennung nicht zuletzt von Männern geniessen. Aber auch Frauen, die in den Augen der Femcels nur durchschnittlich attraktiv sind, «Beckys» genannt, die jedoch einen Partner haben, werden von den Femcels verachtet. Denn sie führten den Femcels deren Einsamkeit vor Augen. Die Personenzuschreibungen stammen ursprünglich aus Incel-Foren.

Eine Gefahr für andere?

Ob dieser geschürte Hass auch ein Radikalisierungspotenzial hat, das womöglich wie bei Incels in Amokläufen enden kann, bezweifeln Expertinnen. «Ich glaube nicht, dass Femcels gewaltverherrlichend oder potenziell gewalttätig sein könnten, da es sich nicht um emotional verletzte Männer, sondern um Frauen mit meist sexueller Gewalterfahrung handelt», betont Spiess.

Die Femcel-Subkultur könne man nicht mit jener der Incels gleichsetzen: «Es ist wirklich eine andere Geschichte. Weniger gewaltvoll, weniger intensiv und weniger bedrohlich.»

Radio SRF2 Kultur, 100 Sekunden Wissen, 11.07.2023, 6:54 Uhr

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