«Was ist Angst?», will Lehrerin Kamla Zogg von ihren Drittklässlerinnen und Drittklässlern wissen. Die Achtjährigen sitzen am Boden in einem Kreis, auf dem Stundenplan steht «Philosophie».
«Angst ist, wenn man sich erschrickt», sagt Julian. Rian erzählt von einem Alptraum mit einem Hai und Sven meint: «Angst ist ein Gefühl, kann aber auch gut sein.» Aha! Das interessiert Lehrerin Kamla Zogg: Wann ist Angst gut? «Wenn sie einem vor Gefahren warnt», sagt Laura.
Angst ist ein Gefühl, kann aber auch gut sein.
Naia erzählt vom kribbeligen Gefühl auf der Achterbahn: «Wenn es da steil runtergeht, ist das cool, das macht aber auch Angst.»
Kamla Zogg schreibt alles an die Wandtafel und will dann wissen: Gehört Angst zum Leben dazu? Die Kinder denken nach und sind sich dann einig: Ja, Angst ist ein Teil des Lebens.
Gemeinsam nachdenken als Grundlage für die Demokratie
Kamla Zogg philosophiert regelmässig mit ihren Schulkindern. Seit der Einführung des Lehrplans 21 vor einigen Jahren ist Philosophieren Pflicht, vom Kindergarten bis zur neunten Klasse.
Über die grossen Fragen des Lebens nachzudenken will gelernt sein. Es braucht einen geschützten Rahmen, damit die Kinder sich sicher fühlen und ihre Gedanken äussern.
«Sie lernen dabei, dass man gemeinsam weiterkommt, auch wenn man nicht immer gleicher Meinung ist», sagt Lehrerin Kamla Zogg. Das sei eine unglaublich wertvolle Erfahrung «und Grundlage einer funktionierenden Demokratie».
Fragen statt antworten
Zudem lernten die Kinder, Fragen zu stellen, statt Antwort zu geben, sagt Beatrice Kümin Rüegg, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Eine Fähigkeit, die sonst im schulischen Alltag zu wenig gefördert werde und an die sich Lehrerinnen und Lehrer erst gewöhnen müssten.
«Normalerweise sind sie diejenigen, die Fragen beantworten», sagt Beatrice Kümin Rüegg. «Im Philosophieunterricht sollen sie genau dies vermeiden – und die Kinder animieren, selbst zu denken und weitere Fragen zu stellen.»
Beatrice Kümin Rüegg ist überzeugt: Es braucht Hartnäckigkeit und Zeit, bis sich der Philosophieunterricht an der Volksschule etabliert hat.
Deshalb hat Beatrice Kümin Rüegg vor Kurzem eine Tagung organisiert, um sich mit internationalen Expertinnen und Experten über den Philosophieunterricht mit Kindern auszutauschen.
Philosophieren verändert den Blick auf die Kinder
Nachfragen statt Antworten zu liefern ist das Grundrezept fürs Philosophieren mit Kindern. Wer sich darauf einlasse, profitiere enorm, auch als Erwachsene, findet Lehrerin Kamla Zogg: «Ich bin immer wieder beeindruckt von der Tiefe der Gedankenwelt meiner Schülerinnen und Schüler.»
Das Philosophieren mit den Kindern habe ihren Blick auf die Kinder verändert. «Ich traue ihnen heute mehr zu», sagt die Lehrerin.
Sie schätzt es enorm, dass Philosophie seit der Einführung des Lehrplans 21 Pflicht ist. «Früher hatte ich stets ein schlechtes Gewissen, wenn ich mit den Kindern über die grossen Fragen des Lebens gesprochen habe. Nun ist dafür im schulischen Alltag ein Platz reserviert und ich kann mir die Zeit nehmen fürs Philosophieren.»
Ich bin immer wieder beeindruckt von der Tiefe der Gedankenwelt meiner Schülerinnen und Schüler.
Ihren Drittklässlerinnen und Drittklässlern machen diese Gespräche ebenfalls Spass. «Mega lässig», fand es Alena. Und Elena ergänzt: «Ich habe gelernt, dass Angst auch ein Freund sein kann.» Das habe sie sich vorher gar nie überlegt.