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Philosophie und Management «Philosophie ist lebendiger und nötiger denn je»

Sie lehrt Manager die Kunst der feinen Unterscheidung. Magdalena Hoffmann leitet in Luzern den Studiengang «Philosophie und Management».

SRF: Philosophie heisst wörtlich «Liebe zur Weisheit». Viele denken bei Weisheit an einen alten, bärtigen Mann. Hat Philosophie etwas Verstaubtes?

Magdalena Hoffmann: Im Gegenteil. Philosophie ist lebendiger und nötiger denn je. Ihre Assoziation mit einem alten, bärtigen Mann rührt vermutlich daher, dass unser Verständnis der Philosophie ihren Ursprung im antiken Griechenland hat, wo die Philosophie tatsächlich älteren Männern vorbehalten war. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Zur Person

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Dr. Magdalena Hoffmann ist Studienleiterin der Weiterbildungsstudiengänge «Philosophie + Management» und «Philosophie + Medizin» an der Universität Luzern. Die Philosophin promovierte zur Ethik von Aristoteles.

Was macht Sie da so sicher?

Die Philosophie boomt. Überall werden philosophische Veranstaltungen angeboten, es gibt philosophische Zeitschriften am Kiosk. Und das überrascht mich nicht, denn immer mehr Menschen realisieren, dass eine ganzheitliche Perspektive nötig ist, um aktuelle Herausforderungen angemessen zu erfassen.

Sie leiten an der Universität Luzern selber einen Studiengang in «Philosophie und Management». Können Manager da weise werden?

Weisheit ist ein sehr anspruchsvolles Konzept, das in der Antike nur ganz wenigen Menschen wie Sokrates zugesprochen wurde. Insofern wäre es unredlich von mir, mit dem Versprechen von Weisheit Marketing zu betreiben.

Was ich hingegen guten Gewissens in Aussicht stelle, sind Rahmenbedingungen für den Weg dahin: Unsere Teilnehmenden lernen, ihre beruflichen Herausforderungen philosophisch zu reflektieren.

Wer besucht diesen Studiengang?

Vor allem Führungskräfte aus Wirtschaft und Verwaltung, die neue Erkenntnisse zu den Themen suchen, mit denen sie tagtäglich konfrontiert sind – Macht, Verantwortung, Geld oder Vertrauen. Allen unseren Teilnehmenden ist gemeinsam, dass sie überdurchschnittlich offen, lernbegierig und kritisch sind.

Weises Management hat einen zeitlichen Horizont, der sich weit über Quartalszahlen erstreckt.

Worin zeichnet sich weises Management denn aus?

Das hervorstechendste Merkmal eines weisen Managements dürfte ein veränderter Blickwinkel sein – sowohl zeitlich als auch inhaltlich. Weises Management hat einen zeitlichen Horizont, der sich weit über Quartalszahlen erstreckt. Und es ist sich der Tatsache bewusst, dass jedes Unternehmen auf gesellschaftliche und politische Unterstützung angewiesen ist.

Zur Sendung

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Yves Bossart knöpft sich für seine erste Sternstunde Philosophie am Sonntag die «Weisheit» vor und diskutiert mit Gerd Scobel, inwiefern Weisheit heute noch ein Ideal sein kann: am 8.1.2017 um 11:00 Uhr auf SRF 1.

Es muss deshalb bestimmte Entwicklungen wie die zunehmende Sorge älterer Arbeitnehmender um Arbeitsplatzverlust einordnen können und aktiv dagegen steuern.

Kurzum: Weises Management weiss, dass sich unternehmerischer Erfolg nicht allein in betriebsökonomischen Kennzahlen erschöpft und vertritt diese Haltung auch überzeugend gegenüber seinen Stakeholdern.

Ist der Weise vor allem klug – oder muss er auch ein gerechter, guter Mensch sein?

Der Weise ist klug und gerecht: Er ist sowohl in intellektueller als auch moralischer Hinsicht ein guter Mensch. Es ist ein Fehler zu denken, dass sich diese Eigenschaften widersprechen, stattdessen bedingen sie sich sogar. Denn wahre Klugheit im Sinne von praktischer Weisheit setzt eine moralische Haltung voraus, ansonsten ist ein «kluger» Mensch bloss gerissen. Eine moralische Haltung wiederum benötigt die Klugheit, ansonsten bleibt ein «moralischer» Mensch naiv.

Es stimmt nicht, dass man mit dem Alter automatisch weiser wird.

Wird man eigentlich im Alter weiser?

Nein, nicht zwingend. Zwar ist eine bestimmte Lebenserfahrung für Weisheit notwendig, das heisst es gibt keine jungen Weisen. Das heisst aber nicht, dass man mit dem Alter automatisch weiser wird. Wichtiger als das blosse Alter ist die Fähigkeit, Lebenserfahrung in Erkenntnis umzusetzen. Dazu braucht es insbesondere die Bereitschaft zur kritischen Selbstreflexion, intellektuelle Unbestechlichkeit und Integrität.

Sokrates meinte, besonders weise sei jener, der wisse, dass er nichts weiss. Ist der Weise bescheiden?

Ja, in gewissem Sinne schon. Allerdings sagt Sokrates an der entsprechenden Stelle in Platons Dialog ‹Apologie› streng genommen nicht, dass er «nichts» weiss, sondern dass er «nicht» weiss. Denn er hat die Erfahrung gemacht, dass alle seine Gespräche mit anderen über Tapferkeit, Erkenntnis oder den Tod gezeigt haben, wie komplex und vielschichtig diese Themen sind und dass sich einfache Antworten nur als Scheinwissen erweisen.

Als Folge dessen bleibt ihm nur die Rolle als Lernender, als Fragender. Das ist eine Haltung, die für mich exemplarisch für die Philosophie ist und die zwangsläufig mit einer gewissen Bescheidenheit oder Demut einhergeht. Paradoxerweise gilt Sokrates just deswegen als ein Weiser.

Die anonymen Alkoholiker sprechen zum Teil gemeinsam dieses Gebet: «Gott gebe mir Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.» Ist Weisheit die Kunst der feinen Unterscheidung?

Ja, auch. Die genannte Unterscheidung zwischen Dingen, die man ändern kann und denen, die man nicht ändern kann, ist ein zentraler Bestandteil der antiken Lebenskunst. Oft täuschen wir uns nämlich über unseren Einflussbereich und hängen Dingen an, deren Wert relativ ist. Und werden dort nicht tätig, wo wir tatsächlich etwas bewegen könnten.

Wenn Sie einen weisen Rat für das neue Jahr geben müssten – welchen würden Sie geben?

Mein Rat wäre, eigene Persönlichkeitsbildung in intellektueller und moralischer Hinsicht genauso ernst zu nehmen wie die Optimierung des Schlafes, des Essverhaltens oder des Sportprogramms.

Es erstaunt mich immer wieder, wie viel Aufwand wir betreiben, um fit und gesund zu sein, und wie wenig wir uns um unseren eigenen Geist und unsere moralische Verfassung kümmern. Dabei machen uns unsere Denkfehler und Laster unglücklicher als ein paar Kilo Übergewicht.

Das Gespräch führte Barbara Bleisch.

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