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Illustration von Menschen mit Gedankenblasen
Legende: Was wäre, wenn wir Gedanken lesen könnten? Die Idee lässt sich in faszinierende oder auch gruselige Richtungen ausmalen. SRF / Yvonne Rogenmoser

Philosophische Antworten Was wäre, wenn wir Gedanken lesen könnten?

Wissen, was das Gegenüber denkt: ein Horror oder ein Traum? Catherine Newmark sucht die Antwort im Fantasy-Film.

Ja, wie wäre es wohl, wenn wir Gedanken von anderen Menschen lesen könnten? Könnten wir endlich die geheimen Wünsche unserer Partner begreifen oder wäre es das Ende der Intimsphäre?

Catherine Newmark

Philosophin und Kulturjournalistin

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Catherine Newmark ist Philosophin und Kulturjournalistin und lebt in Berlin. Sie ist verantwortlich für die Sonderausgaben des Philosophie Magazins .

Wären wir einem Dauerbombardement unangenehmer Wahrheiten ausgesetzt, oder gäbe es endlich Friede auf Erden, weil wir einander besser verstehen würden?

Was aber sind diese Gedanken genau, die da gelesen werden? Dazu liesse sich viel und weitschweifig philosophieren. Oder aber wir halten uns einfach an die «philosophischen» Genres Fantasy und Science Fiction, schliesslich sind Sommerferien.

Von Kopf zu Kopf reden

Gedankenlesen begegnet uns beispielsweise bei den Betazoiden im Star-Trek-Universum. Deanna Troi, die empathische Schiffspsychologin auf der Enterprise-D, ist halb Betazoidin. Kommt ihre exaltierte Mutter, Lwaxana Troi, zu Besuch, «reden» die beiden schon auch mal direkt von Kopf zu Kopf.

Lwaxana Troi, die anders als ihre Tochter Voll-Betazoidin ist, scheint zwar fähig, die Gedanken von anderen ohne deren Zustimmung zu belauschen. Aber man gewinnt nicht den Eindruck, dass sich die Betazoiden untereinander dauernd ungefragt in den Köpfen wühlen.

Ihre Telepathie ist schlicht eine sprachliche Kommunikationsform. Der einzige Unterschied zu unserer Sprache besteht in der Lautstärke.

Wir denken in Fetzen

Anders in Wim Wenders «Himmel über Berlin». Bruno Ganz und Otto Sander streifen als Engel durch die geteilte Stadt, beobachten die Menschen und lauschen deren Gedanken.

Was sich ihnen präsentiert, sind keine voll ausgebildeten Sätze, sondern einzelne Wörter und Gedankenfetzen. Das scheint eine einigermassen realistische Darstellung der oft von vagen Gefühlen, Stimmungen und Halbgedanken geprägten menschlichen Innenwelt.

Nur ganz selten führen wir innere Monologe der Art «Ach wie gut, dass niemand weiss, dass ich Rumpelstilzchen heiss», die dem zufällig vorbeikommenden Gedankenleser präzise Informationen übermitteln würden. Selten sind unsere tiefsten Geheimnisse, unsere verdrängten bösen Taten, das grosse Ganze unseres Denkens und Wollens an der bewussten Oberfläche unserer Psyche anzufinden.

Wie wir nicht zuletzt dank Sigmund Freud wissen, ist der Vorgang des Heraufholens genau dieser Dinge mit sehr viel Arbeit verbunden. Gott, sofern es ihn gibt, kennt wohl unsere ganze Seele, sonst aber tut es keiner: seine Engel nicht, nicht einmal wir selbst.

Was man wohl die meiste Zeit an der Oberfläche unseres Bewusstseins findet, sind neben wild durcheinandergewirbelten, halb-sprachlichen Eindrücken und vagen Intentionen vor allem Stimmungen, von betrübt und angespannt bis gelassen und heiter.

Und diese können Menschen, die uns kennen, im Allgemeinen sogar recht gut lesen – sie verlassen sich auf ihre Erfahrungen mit uns – und auf tausende kleine Anzeichen gestischer und mimischer Natur.

Unsere Emotionen sind entzifferbar

Wenn man so will, eine gute Nachricht auf dem Feld der Telepathie. Zwar haben wir meist nur wenige wirklich klare und deutliche Gedanken.

Aber unser verworrenes Denken, dieses grosse Kontinuum von emotionalen Zuständen bis zu ganzen Sätzen, ist für andere Menschen sehr wohl entzifferbar. Zu dieser Art von Gedankenlesen sind wir als empathische Wesen tatsächlich begabt, auch ganz ohne betazoidisches Erbgut.

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