Menschen in Gesundheitsberufen, Pizza- und Paket-Kurierinnen, Lastwagenfahrer, Reinigungskräfte, das Personal in Lebensmittelfabriken, Verkäuferinnen – sie alle arbeiten hart. Im Buch «Verkannte Leistungsträger:innen», herausgegeben von der Soziologin Nicole Mayer-Ahuja und ihrem Kollegen Oliver Nachtwey, erzählen sie von ihrer Arbeit.
Die Polin Edyta etwa berichtet: «Bei dieser Frau – das war echte Knochenarbeit. Einmal hat sie mich gekratzt, ein anderes Mal mir ins Gesicht gespuckt. Und wenn ich während des Essens mal kurz zur Toilette ging, lag der Teller danach auf dem Boden. Sie war vor allem nachts aktiv. Ich konnte nie durchschlafen, keine Nacht.»
Edyta betreute für 999 Euro pro Monat Tag und Nacht eine demente Frau. Ein LKW-Fahrer erzählt, dass ihn die langen Arbeitszeiten die Familie gekostet haben. «Sans Papiers» berichten, wie sie um ihren Lohn für ihre Arbeit in einem Restaurant betrogen wurden. Kita-Mitarbeiterinnen schildern ihre Erschöpfung.
Berufsleute erzählen
Die vielen Zitate von Arbeiterinnen und Arbeitern aus Deutschland und der Schweiz sind ein Trumpf dieser «Berichte aus der Klassengesellschaft», so der Untertitel des Buches. Nicht über diese Leute sprechen darin die 22 Sozialwissenschaftler und -innen, sondern mit ihnen.
Die Berufsleute berichten von enger Taktung, enormem Leistungsdruck, strikter Kontrolle, befristeten Verträgen und erschöpfenden Tätigkeiten. Und davon, dass wahre Arbeit nicht wahren Lohn bedeutet.
Von einer «Klassengesellschaft» schreiben Mayer-Ahuja und Nachtwey in ihrem Vorwort. Ihr Interesse gilt nicht denen, die sich Prestige und Geld angeln, sondern denen, die bestimmt nicht weniger hart arbeiten, aber häufig unter prekären Bedingungen leben.
Viele kommen nur knapp oder gar nicht über die Runden. Selbst im Hochlohn- und Hochpreisland Schweiz verdienen 10 Prozent der Arbeitnehmenden nur einen Tiefstlohn.
Leistung soll sich lohnen – aber welche?
1982 versprach Helmut Kohl: «Leistung muss sich wieder lohnen!» Allerdings, stellen Mayer-Ahuja und Nachtwey fest, sei dies mit einer Neudefinition von «Leistung» einhergegangen: Der Respekt für den Berufsstolz der traditionellen Arbeiterschaft, die den gesellschaftlichen Reichtum erzeugt, sei geschwunden: «Als Leistungsträger galten fortan andere: Unternehmer:innen, Manager:innen, Berater:innen und alle diejenigen, die Geld, Einfluss und Erfolg haben, egal ob diese selbst erarbeitet waren.»
Die Leistung «normaler» Beschäftigter sei hingegen weniger anerkannt worden und lohne sich noch weniger als zuvor.
Steuersenkungen drücken die Löhne
Dass sich Leistung «wieder lohnen» müsse, sei eben nicht auf die Leistung der Werktätigen gemünzt gewesen, schreiben Mayer-Ahuja und Nachtwey, sondern auf Steuersenkungen. Darum fehlen dem Staat Einnahmen, um öffentliche Leistungen zu finanzieren.
Die Budgets werden gekürzt, was sich auf die Arbeitsbedingungen auswirkt und die Löhne drückt, etwa in Spitälern, Kinderkrippen, bei der Post und anderswo. Die Politik erhöht den Druck auf Arbeitslose, um diese schnell wieder in Lohn und Brot zu bringen.
Firmen würden deshalb auch für unattraktive Stellen leicht Arbeitswillige finden, argumentieren Mayer-Ahuja und Nachtwey: «In der Privatwirtschaft wurde es üblich, prekäre Randbelegschaften aufzubauen und/oder Teile des Produktions- oder Dienstleistungsprozesses an Subunternehmen auszulagern.»
Den Ungehörten zuhören
Das Buch «Verkannte Leistungsträger:innen» vermittelt Einblicke in Realitäten, die selten ein Thema sind, obwohl sie mitten unter uns existieren.
In der öffentlichen Diskussion tauchen die Kita-Mitarbeiterin, der Saison-Mitarbeiter in der Landwirtschaft, die Flugbegleiterin bei der Billigfluggesellschaft und die Sicherheitsdienstleisterin kaum je auf. Diesem Manko wirkt dieses lesenswerte und gut lesbare Buch entgegen.