Die Schweizer Nationalmannschaft ist für die Fussball-Weltmeisterschaft in Katar im November 2022 qualifiziert. Jetzt werden Boykottaufrufe laut. Der Golfstaat verletze Menschenrechte, beute Immigrantinnen und Immigranten aus, die Gesellschaft sei homophob.
Nicht zum ersten Mal in der Sportgeschichte soll ein sportliches Grossereignis boykottiert werden. Was bringt das – und wem? Der Sporthistoriker Peter Engel ordnet ein.
SRF: Sport und Boykottaufrufe – das ist eine brisante Mischung. Wann hat man angefangen, Sportanlässe zu boykottieren?
Peter Engel: Im Sport ist der Boykott in der neuzeitlichen olympischen Bewegung erkennbar, die 1896 beginnt. 1936 fanden die Olympischen Spiele in Berlin statt, organisiert durch die Nationalsozialisten. Da wurde ein Boykottaufruf gestartet, um gegen die Nazi-Propaganda zu demonstrieren.
Was hat dieser Boykottaufruf letztlich gebracht?
Er hat insofern etwas gebracht, als in Barcelona eine Volksolympiade als Gegenolympiade organisiert wurde. Diese Spiele mussten dann aber abgebrochen werden wegen des Ausbruchs des Spanischen Bürgerkriegs.
Vor 40 Jahren boykottierten mehrere Staaten die Olympischen Sommerspiele in Moskau wegen des Einmarsches der Sowjetunion in Afghanistan. Ist das ein Beispiel eines gelungenen Boykotts?
Als 1979 die sowjetischen Truppen in Afghanistan einmarschierten, erliess der US-amerikanische Präsident Carter einen Boykottaufruf. Immerhin über 60 Staaten folgten diesem Aufruf und boykottierten die Spiele in Moskau.
In der Schweiz wurde der Boykottaufruf zwar diskutiert, aber nicht befolgt. Die Schweiz stellte sich auf den Standpunkt, man sei ein neutraler Staat. Und schickte deshalb die Sportlerinnen und Sportler nach Moskau.
Geht das überhaupt zusammen: Sport und Politik? Das sind ja alles Versuche, durch den Sport Einfluss auf die Politik auszuüben.
Das ist richtig. Der Sport wird jeweils für politische Zwecke missbraucht.
Warum missbraucht?
Die Athletinnen und Athleten können ja nichts dafür. Sie trainieren auf diese wichtigen Wettkämpfe hin und werden dann aus politischen Gründen an der Teilnahme gehindert.
Sport und Politik gehören natürlich irgendwo zusammen, schon wegen der wirtschaftlichen Verflechtungen. Meistens kommen aber die Boykottaufrufe nicht von staatlicher Seite. Die Sportverbände sind deshalb meist gegen Boykotte. Nur wenn die staatlichen Organe einen Boykott durchsetzen wollen, kommt es effektiv zu Boykott-Aktionen.
Letztlich stehen also wirtschaftliche Interessen hinter diesen Sport Anlässen, die die politischen Interessen, salopp gesagt, übertrumpfen?
Die Sportverbände sind eng verflochten mit der Wirtschaft und deshalb haben moralische Anliegen meistens keine Chance, um einem Boykott zum Durchbruch zu verhelfen. Um es mit Brecht zu sagen: Zuerst kommt das Fressen und dann kommt die Moral.
Das Gespräch führte Noëmi Gradwohl.