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Protestbegriff «Woke» «Woke»: Die Wut allein bewirkt wenig

An einer Veranstaltung seiner Stiftung kritisierte Barack Obama die Pranger-Kultur, die unter Aktivisten auf sozialen Medien herrsche. «Seid nicht zu woke!», rügte er. Was ist «woke»? Gespräch mit der Soziologin Leslie Gauditz über einen Protest-Begriff, der für Widerstand sorgt.

Leslie Gauditz

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Die Soziologin Leslie Gauditz ist Doktorandin an der Universität Bremen und Protestforscherin. Sie ist Mitglied der Instituts für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin.

SRF: Vorab: Was heisst «woke»?

«Woke» ist ein Begriff aus dem US-amerikanischen Kontext. Er bedeutet, dass Leute sich sozial und politisch bewusst sind, dass Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten existieren. «Woke» sein bezieht sich auch auf die individuelle Lebensführung: Wie man richtig spricht, richtig handelt. «Woke»- Sein kann auch heissen, sich vegan zu ernähren.

Grundsätzlich zielt «Woke»-Sein darauf ab, ein Bewusstsein für bestimmte Probleme zu schaffen. Allen voran steht die MeToo-Bewegung, die darauf aufmerksam machte, wie viel Sexismus es im Alltag gibt.

Was findet Obama falsch daran, «woke» zu sein?

Obama kritisiert nicht prinzipiell die Tatsache, dass Leute «woke» sind. Er kritisiert, dass Menschen sich darauf ausruhen, «woke» zu sein.

Er kritisiert, dass die Art und Weise, wie diese Menschen eine Veränderung hervorrufen wollen, darin besteht, anderen Leuten vorzuwerfen, dass sie nicht «woke» genug sind.

Barack Obama zeigt mit dem Finger.
Legende: Mit dem Finger auf die Bösen zeigen: Das reiche nicht, meint Barack Obama. Getty Images / Scott Olson

Obama erhielt viel Applaus. Meine Erklärung: Menschen haben Angst vor zu viel Aktivismus, wollen ihre Ruhe haben in unruhigen Zeiten.

Das ist schwer einzuschätzen. Aber die Vorstellung, «woke» zu sein, geht damit einher, dass man sich selber reflektieren, ja ändern muss. Wenn das sehr fordernd an Leute herangetragen wird, kann das nerven.

Mich erinnert die Woke-Kultur-Debatte an die Political-Correctness-Debatte: Das herrscht manchmal auch ein Unverständnis dafür, dass man Wörter, die man immer benutzt hat, diskriminierend sein können. Studien belegen aber tatsächlich, dass Änderung von Sprache reale Effekte haben kann, die Diskriminierungen und Ungleichheiten abbauen.

«Woke»: Zur Geschichte eines Begriffs

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Der Begriff «woke» – zu Deutsch «wachsam» – stammt aus dem afroamerikanischen Kontext. «Woke» bedeutet, wachsam zu sein gegenüber Ungerechtigkeiten und Diskriminierung. Einem breiteren Publikum bekannt machte ihn 2008 die Sängerin Erykah Badu: Im Protest-Song «Master Teacher» singt sie: «What if there was no niggas. Only master teachers? I stay woke» (Was wäre, wenn es keine «Niggas√ gäbe, sondern nur Oberlehrer? Ich bleibe aufmerksam.) Später wurde «stay woke» zum Markenzeichen der Black-Lives-Matter-Bewegung. Heute wird «woke» vor allem von Jugendlichen gebraucht. «Woke» ist, wer bewusst lebt, Misstände sieht.

Handelt es sich um einen Generationen-Konflikt zwischen den jungen Wilden und alten Eingesessenen?

Ich weiss nicht, ob diese Interpretation komplett greift. Es geht auch um Macht und Status, die bedroht werden, wenn junge Leute sagen, sie seien «woke» und wissen es besser.

Das wollen gewisse Leute nicht hören und ihre Abwehrreaktionen sind teilweise absurd. Das zeigt sich an Anfeindungen gegen Greta Thunberg oder gegen Millennials, die alle nur verwöhnte Gören seien, die es nicht besser wissen. Da wird die Kompetenz abgesprochen, dass ihre Kritik gerechtfertigt ist.

Solche Diskussionen gibt es auch innerhalb von Generationen. Immer, wenn es darum geht, wer Recht hat.

Bei einem Protest hält jemand eine Zeichnung von Greta Thunberg in die Luft.
Legende: Heldin oder Feinbild? Die Forderungen Greta Thunbergs stossen nicht überall auf Zuspruch. Keystone / EPA / FELIPE TRUEBA

Nick Cave stimmt ähnliche Töne wie Obama an. Auf seinem Blog schreibt er, dass ihn der «Mangel an Demut» und die «Unfehlbarkeit der Thesen» der Woke-Kultur abstosse. Einspruch gegen eine Generation von Rechthabern?

Er spricht wohl an, dass aus dem Bewusstsein gegenüber Ungerechtigkeiten auch Taten folgen müssen. Rechthaberei reicht nicht.

Das «Woke»-Sein sehe ich da nicht als Problem. Sondern das Behaftet-Bleiben auf einer sprachlichen und intellektualisierten Ebene.

Obama sagte auch: «Auch Menschen, die richtige gute Dinge tun, machen Fehler». Geht es ihm darum, dass bei Protesten die Toleranz nicht verloren geht?

Bestimmt. Und es gibt ja auch praktisch Gründe, Toleranz zu üben, weil es ja auch politische Allianzen geschlossen werden müssen.

Beim Obama würde ich sagen, dass er nicht nur in einer Abwehr-Reaktion verhaftet ist. Er will den jungen Menschen einen ernstgemeinten Tipp geben, damit deren Aktivismus wirksam bleibt und sich nicht an der Wut gegenüber Menschen mit einer anderen Meinung erschöpft. Damit es keine Verhärtung der Fronten gibt und wir einander nicht mehr zuhören.

Das Gespräch führte Danja Nüesch.

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