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Porträtfoto von Mahmoud Hosseini Zad mit Schal und Brille.
Legende: «Noch nie gab es Proteste, die so landesweit waren wie jetzt.» Autor und Übersetzer Mahmoud Hosseini Zad. Diako1971/wikimedia

Proteste im Iran «Heute wird das Regime viel offener kritisiert»

Die Lage im Iran bleibt unübersichtlich, seit einer Woche gibt es Proteste gegen die Regierung, mittlerweile im ganzen Land. Übersetzer Mahmoud Hosseini Zad über öffentliche Regimekritik, Zensur und mögliche Veränderung.

SRF: Sind die aktuellen Proteste im Iran nach Ihrer Einschätzung politisch oder ökonomisch motiviert?

Mahmoud Hosseini Zad: Beides. Es ist ein Protest gegen die Arroganz des Regimes und gegen die unvorstellbare wirtschaftliche und politische Korruption im Iran. Man kann sich überhaupt nicht vorstellen, wie tief diese Korruption geht. Die Teuerung ist unwahrscheinlich. Nun ist die Geduld des Volkes zu Ende.

Der Protest beruht also auf einer tiefen Unzufriedenheit mit der politischen Elite. Melden sich denn im Iran auch Intellektuelle zu Wort?

Noch nicht. Es gibt schon einige Künstler, die eine Erklärung geschrieben haben, und unter Intellektuellen wird über die Proteste diskutiert. Es wird auch kritisiert, dass sich zum Beispiel noch keine Schriftsteller zu Wort gemeldet haben.

Eine intellektuelle Diskussion findet leider noch nicht statt.

Wie sieht es im Alltagsleben aus? Wird da diskutiert?

Ja, doch es gibt einen Unterschied zu den Demonstrationen nach den Wahlen im Jahr 2009. Damals gab es Massendemonstrationen, die hauptsächlich in Teheran stattfanden und hart unterdrückt wurden. Jetzt gehen in vielen kleinen Städten Leute auf die Strasse, es gibt Tote und Verletzte, während die Proteste in Teheran etwas friedlicher verlaufen. Seit der Islamischen Revolution haben wir schon einige Male heftige und blutige Demonstrationen gehabt – aber jetzt ist der Verlauf anders: Die Proteste finden landesweit statt.

Zur Person

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Mahmoud Hosseini Zad ist Autor und Übersetzer. Er übersetzt zeitgenössische deutschsprachiger Literatur ins Persische und lebt in Teheran.

Bei der Grünen Bewegung von 2009, die Sie erwähnt haben, protestierte die Mittelschicht. Wer geht jetzt auf die Strasse?

So, wie ich es erlebe, sind es viele Jugendliche. Am ersten Tag war ich an der Universität, die dann bald gesperrt wurde. Ich sah Studenten und Jugendliche aus verschiedenen Bevölkerungsschichten.

Glauben Sie, dass dieser Protest zu einer politischen Veränderung führen wird?

Das glaube ich nicht. Die Gegenpartei ist zu mächtig und zu brutal, die Polizeimacht zu gross. Natürlich hoffen wir auf Veränderung, aber ich bin nicht optimistisch, wenn man die Lage des Iran und seiner ausländischen Unterstützer betrachtet. Trump ist ein Witzbold, und Europa hat sich bisher kaum zu Wort gemeldet.

Sollte sich der Westen dann mehr einmischen?

Nein. Wir haben schon oft erlebt, dass der Westen taktisch ratlos ist. Ausländische Einmischung würde die Sache noch schlimmer machen.

Im Iran gibt es eine Zensurbehörde. Wenn Sie sich jetzt kritisch äussern über die Regierung, fühlen Sie sich dabei frei, oder müssen Sie mit Konsequenzen rechnen?

Man muss mit Konsequenzen rechnen. Ich habe gerade mit einem Studenten gesprochen, der am ersten Tag bei den Demonstrationen dabei war. Seit einigen Tagen bekommt er sonderbare Anrufe, bei denen niemand spricht und nur Geräusche zu hören sind. Viele Demonstrierende wurden auch per SMS bedroht. Aber im Unterschied zu früher wird heute das Regime viel offener kritisiert. Das ist ein Unterschied zu früheren Krisen: Jetzt spricht man offener, auf Facebook oder beim Messenger-Dienst Telegram wird das Regime kritisiert. Und das ist auch gut so.

Ist das eine Neuerung dieser Protestbewegung, oder hat es schon früher begonnen, dass man sich offener kritisch äussern kann?

Das hängt vor allem mit den neuen medialen Möglichkeiten zusammen, die es vorher noch nicht gab. 2009 gab es noch kein Telegram, kein Instagram. Damals lief vieles über Twitter, worauf der Dienst bald gesperrt wurde. Natürlich gab es Facebook, aber dort äusserte man sich nur vorsichtig. Telegram und Instagram sind im Iran wirklich Massenmedien und werden von allen Menschen verwendet.

Social Media führt in Iran also zu einer offeneren Gesprächskultur?

Natürlich, und das Regime weiss das auch, deshalb wurden am ersten Tag der Proteste Instagram und Telegram gesperrt. Das Internet ist verlangsamt, man muss zehn Minuten warten, bis Google sich öffnet.

Das Gespräch führte Irene Grüter.

Sendung: Kultur aktuell, 5.1.18, 6.50 Uhr, Radio SRF 2 Kultur

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