Hans* ist 55, als bei ihm ein Gehirnaneurysma entdeckt wird. Nach der Operation zittert er, hat Mühe mit dem Schreiben und Sprechen. Hinzu kommen ein Augeninfarkt und Epilepsie.
Hans wird arbeitsunfähig und muss sich frühpensionieren lassen. Er fällt in ein psychisches Loch und beginnt zu trinken.
«Ich fühlte mich nach der Frühpensionierung allein, leer, ich hatte keine Aufgabe mehr. Ich konnte nicht den ganzen Tag darüber nachdenken.
Deshalb zog ich mich zurück und griff zum Alkohol. Es fing mit drei Flaschen Bier pro Tag an. Und bevor ich ins Bett ging, trank ich noch ein Glas Rotwein. So konnte ich gut schlafen.
Plötzlich wurden es zwei, drei Gläser Rotwein plus Bier. Die Menge wurde immer grösser. Zuletzt kam Schnaps dazu, also Whiskey, den ich unkontrolliert trank.
Zum Trinken in den Keller
Ich hatte das Gefühl, dass meine Familie merkte, dass ich angetrunken war. Ich begann im Versteckten zu trinken, ging dafür sogar in den Keller. Dort hatte ich mein Depot.
Aber meine Frau roch es und sagte mir: ‹Hast du Alkohol getrunken?› Da wurde ich fast ein bisschen rabiat, bösartig. ‹Kontrollierst du mich?›, sagte ich und zog mich noch mehr zurück. So wurde es immer schlimmer und schlimmer.
Bereits am Morgen spürte ich, dass ich Alkohol brauche. Meine Hände zitterten, die Tasse musste ich mit zwei Händen halten. Mein Ziel war, so bald als möglich einen Pegel zu haben, damit ich ruhiger werde.
Fünf Nasenbeinbrüche, viel Scham
Das Sehen, das Bewegen, die Wahrnehmung, das Sprechen … ich merkte bald einmal, dass mir das schwerfällt. Aber ich wollte es nicht wahrhaben.
Ich musste bis zu 21 Tabletten pro Tag nehmen. Manchmal nahm ich die Tabletten nicht, damit ich Alkohol trinken konnte.
Ich schämte mich sehr und sagte mir oft: ‹Was machst du? Hör auf!› Meine Frau tat mir leid, aber ich trank trotzdem weiter. Ich war nicht in der Lage, aufzuhören.
Ich hatte viele Verletzungen von den Stürzen: fünfmal Nasenbeinbruch, Trümmerbruch, Achsel kaputt, Rippen kaputt.
«Grossvati, warum riechst du?»
Im Nachhinein dünkt es mich schade, dass niemand etwas gesagt hat. Heute sage ich, alle hätten sich melden dürfen, sagen dürfen: ‹Du Hans, hast du zu viel getrunken? Du riechst.› Oder: ‹Du redest wirres Zeug.›
Das ist aber nie passiert. Bis meine Familie sich meldete. Die Grosskinder, sie waren zehn, zwölf Jahre alt, sagten mir: ‹Grossvati, warum riechst du so stark, wenn du mit uns sprichst? Und manchmal redest du nicht gut.›
Da lief es mir kalt den Rücken runter. Das war für mich das Schlimmste, dass mich zwei Kinder darauf aufmerksam machten.
Die Tochter und der Schwiegersohn merkten es auch und sagten: ‹Was ist los? Du hast Alkohol getrunken!› Es ging so weit, dass mir die Tochter sagte: ‹Komm nicht mehr, wenn du angetrunken bist. Ich will nicht mehr, dass du dich so mit meinen Kindern unterhältst!›
Schlussendlich war ich am Punkt, an dem ich etwas machen musste. Weil mir die anderen das Messer an den Hals hielten.»
Nach 8 Jahren Alkoholsucht sagt sich Hans: «Es ist nie zu spät aufzuhören» und nimmt seinen Ausstieg in Angriff.
Er nimmt psychologische Hilfe in Anspruch, zusammen mit seiner Ehefrau. Gemeinsam besuchen sie eine Paartherapie, in der sie die vergangenen Jahre aufarbeiten und schliesslich hinter sich lassen können.
Seit zehn Jahren hat Hans keinen Schluck Alkohol mehr getrunken. Vor zwei Jahren haben die beiden ihre Therapie abgeschlossen.
*Name geändert