Statt zu Gitarre, Pinsel oder Kamera greifen viele ukrainische Kunstschaffende nun zur Waffe, um ihre Heimat zu verteidigen. Die in München lebende ukrainische Filmemacherin Daria Onyshchenko drehte bereits 2019 einen Spielfilm über das Leben in den russisch besetzten Gebieten in der Ostukraine. Gespräch mit einer Geschichtsbewussten über ein Land, das schon lange leidet.
SRF: Sie leben in München, sind aber in Kiew geboren. Was hören Sie von Ihren Freundinnen und Verwandten?
Daria Onyshchenko: Ich habe in Kiew Familie, meine Eltern, mein Bruder, aber auch viele Freunde aus dem Kulturbereich. Künstler, Kameraleute, Schriftstellerinnen, Musiker und Schauspielerinnen, die jetzt zu Waffen greifen müssen, um ihre Strassen und Häuser zu verteidigen.
Wir kämpfen schon seit Jahrhunderten für unsere Unabhängigkeit.
Zum Glück gibt es noch das Internet und Telefonverbindungen. Aber du weisst nie, wann du deine Freunde wieder hörst. Ein schreckliches Gefühl. Meine Mutter war lange Zeit in einem Haus ohne Schutzraum mit meiner alten Oma. Sie kann sie nicht allein lassen und zu mir kommen. Deswegen wird die Situation jeden Tag dramatischer.
Der Wille der Ukrainerinnen und Ukrainer für ihre Unabhängigkeit zu kämpfen ist unglaublich gross.
Man muss die Geschichte der Ukraine kennen. Wir kämpfen schon seit Jahrhunderten für unsere Unabhängigkeit. Die sowjetische und russische Regierung hat immer wieder versucht, unser Volk zu vernichten. Es gab in den 1930er-Jahren schreckliche Genozide und eine Hungersnot, Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern wurden vernichtet.
Jetzt ist es eskaliert. Aber wir haben diesen Krieg seit acht Jahren.
Seit unsere Unabhängigkeit 1991 waren wir ein friedliches Land und haben sehr viel erreicht. Unsere Kultur hat sich unglaublich entwickelt. Es ist so schade, dass das alles jetzt so schnell und so brutal ruiniert wird.
Seit 2014 gibt es den Konflikt in der Ost-Ukraine. Ihr Film spielt in den von pro-russischen Separatisten kontrollierten Gebieten. Warum heisst er «Die Vergessenen»?
Weil es um die Menschen geht, die acht Jahre lang in den okkupierten Gebieten lebten. Es geht auch um die 1.5 Millionen Flüchtlinge, die es innerhalb der Ukraine schon gab.
Dieses Thema ist nach der russischen Annexion der Krim und den Maidan-Protesten in Vergessenheit geraten. Jetzt ist es eskaliert, doch wir haben diesen Krieg seit acht Jahren.
Wie haben Sie das Leben in den besetzten Gebieten erlebt?
Die Leute sind nicht bereit ihr Land aufzugeben. Wir sind ein friedliches, demokratisches Land. Wir wollen nicht zu Russland gehören. Viele tausende Leute gehen in den Städten gegen diese Okkupation friedlich auf die Strasse, um Putin ein Signal zu setzen und zu zeigen: «Du wirst uns nicht erobern. Wir sind ein eigenes Land, wir brauchen dich nicht.»
Worauf hoffen Sie, wenn man denn noch hoffen kann in dieser Situation?
Ich weiss nur, dass es keinen Weg zurück gibt. Wladimir Putin muss verstehen, dass er diesen Krieg schon jetzt verloren hat. Die Frage ist: Wie viele Menschenleben wird es noch kosten? Darum bitten wir um Schutz.
Die Parole auf all unseren Demonstrationen, hier in München, ist: «Close the Sky over Ukraine!» In der Ukraine gibt es viele Atomkraftwerke, eine Katastrophe wie in Tschernobyl ist meine grösste Sorge. Und meine grösste Hoffnung ist, dass wir das alles durchstehen können.
Das Gespräch führte Barbara Lüthi.