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Religion und Klimakrise «Wir dürfen keinen Tag so weiterleben wie bisher»

Beim Weltkirchentreffen in Karlsruhe forderten vor allem junge Menschen mehr Klimagerechtigkeit und einen Systemwandel. Wie kann das gelingen?

«What do you want», tönt ein lauter Ruf am Rande der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe. «Climate Justice!», antworten viele Stimmen noch lauter zurück.

An die tausend Personen, etwa ein Viertel aller Teilnehmenden an diesem Treffen der «kirchlichen UNO», sind junge Erwachsene. So viele wie noch nie. Für sie gehören ihr Glaube und der Einsatz für den Planeten untrennbar zusammen. Das wollen sie mit ihrem Protest zum Ausdruck bringen.

Systemwandel – aber wie?

Da ist Julia Rensberg, 27, eine Sámi aus Nordschweden. Wegen der starken Wetterschwankungen würden ihre Rentiere verhungern, erzählt sie. Früher fanden sie ihr Futter unter dem Schnee. Heute taut der Schnee und gefriert dann zu einer dicken Eisschicht.

«Wir erleben hautnah mit, wie eine Spezies ausstirbt», erklärt sie. Rentiere sind Lebensgrundlage der Sàmi. Seit jeher leben sie in Symbiose mit den Vierbeinern. «Wir brauchen einen sofortigen Systemwandel», appelliert Julia deshalb an die Kirchen-Weltgemeinschaft.

Die Zeit drängt

Jessica Bwali aus Sambia sieht das ähnlich: «Wir haben keine Zeit mehr!», ruft sie ins Mikrofon. Schon jetzt erlebe sie, wie Trockenheit und Dürre das Leben bedrohen. Es dränge.

Junge schwarze Frau hält ein Protestschild hoch
Legende: Jessica Bwali aus Sambia erfährt die Folgen der Klimakrise schon jetzt am eigenen Leib. Simon Chambers/WCC

Kriege, Krisen, Klima: Es sind schwierige Themen, die am Weltkirchengipfel verhandelt werden. Die Frage lautet: Lässt sich überhaupt etwas tun? Und wenn ja, wie?

Die Schweizer Pastorin und Klima-Aktivistin Sarah Bach sagt, sie habe zwar nicht jeden Tag gleich viel Hoffnung. Doch für sie sei klar, dass sich ihr Glaube in ihrem Einsatz fürs Klima äussern müsse. Auf eine Demo zu gehen, sei für sie «wie ein Gebet».

«Wie Greenpeace plus Glaube»

Der Glaube als Ressource im Klima-Aktivismus: Das hat sich die Organisation Greenfaith auf die Fahnen geschrieben. Sie mobilisiert Menschen jeglicher Religion, um gegen Kohleenergie und für Nachhaltigkeit einzustehen.

«Wir sind wie Greenpeace plus Glaube», erklärt Greenfaith-Mitarbeiterin Caroline Bader lachend auf die Frage, warum es ein weiteres Klima-Netzwerk brauche.

Frau hält mit ernstem Gesicht ein Transparent hoch
Legende: Interreligiöses Engagement: Bei Greenfaith protestieren Angehörige verschiedenster Glaubensrichtungen. Paul Jeffrey/WCC

Die 37-Jährige koordiniert das Netzwerk in Deutschland. In allen Spiritualitäten sei die Schöpfung etwas Heiliges, das es zu bewahren gelte, so Bader.

Die pazifische Antwort auf die Klima-Krise

In einem Workshop erzählen junge Menschen aus dem Pazifik: Dort steigt der Meeresspiegel, Gemeinschaften müssen deshalb umgesiedelt werden. Der Boden verhärte durch das Meersalz. Landwirtschaft werde immer schwieriger.

Dennoch klagen sie nicht als Opfer. Vielmehr präsentieren sie ihre Umwelt-Ethik. Die basiere auf der Weisheit ihrer Vorfahren: «Nimm nur so viel, wie du brauchst. Wenn du etwas nimmst, gib es zurück. Deshalb pflanzen wir Bäume, wenn wir welche fällen», sagt James Bhagwan von der Pazifischen Kirchenkonferenz.

Die rund 20-jährige Lilieta Soakai erzählt von «Uno Ni Yalo», einem Projekt, in dem sie anderen Jugendlichen beibringt, selbst traditionelle Segelboote zu bauen. So können sie wieder zwischen den Pazifischen Inseln segeln, anstatt Motorboote zu bestellen. Zurück zu den Wurzeln: Das sei die pazifische Antwort auf die Frage, wie ein Systemwandel gelingen könne.

Auch die Vollversammlung der Kirchen sendet ein deutliches Statement für Klimagerechtigkeit. «Wir dürfen keinen Tag so weiterleben wie bisher», sagt ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca, «sonst ist unsere Erde in 50 Jahren unbewohnbar.»

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 06.09.2022, 07:06.

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