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Gott polyglott – von der Mehrsprachigkeit religiöser Menschen
Aus Perspektiven vom 27.08.2022. Bild: SRF / Sébastien Thibault
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Religion und Mehrsprachigkeit Im Glauben reden viele Sprachen ein Wörtchen mit

Die religiöse Schweiz spricht viele Sprachen. Das hat mit Migration zu tun – liegt aber auch an den Religionen selbst.

Rund 800 christliche fremdsprachige Gemeinden gibt es in der Schweiz. Das sind teils eigenständige Migrationskirchen, teils bieten Landeskirchen fremdsprachige Gottesdienste an.

40 Prozent der römisch-katholischen Gläubigen in der Schweiz haben ihre Wurzeln im Ausland. Deshalb unterhält die römisch-katholische Landeskirche 110 Seelsorgestellen speziell für Fremdsprachige. Sie sind meist in sogenannten «Missionen» organisiert.

Schwerpunkt «Mehrsprachigkeit in der Schweiz»

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violette Illustration: Links sitzt alte Frau, hält Kabel, in der Mitte Mann, rechts eine Frau. Alle halten eine Sprechbüchse.
Legende: SRF

Vier Landessprachen, rund 42 Prozent zweisprachige Haushalte: Mehrsprachigkeit ist in der Schweiz allgegenwärtig – und vom 28. August bis 4. September Thema einer Schwerpunktwoche bei SRF Kultur.

Ausgewählte Highlights aus dem Programm:

Sonntag, 28. August 2022

  • Pratteln, mon amour: Unsere Autorin kam als kleines Kind aus Albanien in die Schweiz. Anfangs verstand sie kein Wort – dann zog sie um (Artikel)
  • Sprachland Schweiz: Wo ein Wille ist, ist auch eine Vielfalt (Artikel)

Montag, 29. August 2022

Dienstag, 30. August 2022

  • Spielfilm «Die Sprache des Herzens»: Ende des 19. Jahrhunderts nimmt sich eine französische Nonne der taubblinden Jugendlichen Marie Heurtin an, die keine Form der Kommunikation kennt. (SRF 1, 00:00 Uhr)
  • Mundartserie: «Die fünfte Landessprache» und ihre Einflüsse auf die deutsche Sprache (Radio SRF 1, 9:40 Uhr): Shaqiri, Xhaka oder Dzemaili

Mittwoch, 31. August 2022

Donnerstag, 1. September 2022

Freitag, 2. September 2022

Sonntag, 4. September 2022

  • «Perspektiven»: Der mythische Ursprung der Vielsprachigkeit – die Sprachverwirrung zu Babel (Radio SRF 2 Kultur, 8:30 Uhr)
  • Dokumentarfilm «Die Frau mit den fünf Elefanten»: Swetlana Geier (1923-2010) gilt als die bedeutendste Übersetzerin von russischer Literatur ins Deutsche. Mit 85 Jahren reiste sie zum ersten Mal seit dem Krieg zurück in ihre Heimat – die Ukraine. (SRF 1, 23:45 Uhr)

Priester wandern von den Philippinen, aus Eritrea, den USA ein, um in der Schweiz Seelsorge zu leisten. So kommt es, dass hierzulande auch auf Koreanisch, Tamil, Portugiesisch, Tigrinya und besonders viel auf Italienisch Messe gehalten wird.

Am Anfang war das Italienisch

Die älteste und grösste der sogenannten «Missionen» in der Schweiz ist die italienische. Zwar ist Italienisch eine Schweizer Landessprache. Diese «Missionen» wurden aber zuerst in der Deutschschweiz gegründet, für die italienischen Arbeiter ohne Familien.

Ein weisses Gebäude mit der Aufschrift «Missione Cattolica Italiana».
Legende: Bietet der italienischstämmigen Gemeinde in Zürich seit über 50 Jahren ein zweites Zuhause: Die «Missione Cattolica» – sie ist die älteste ihrer Art in der Schweiz. Wikipedia

Dafür kamen Priester extra aus Italien. Nach über 50 Jahren ist die «missione cattolica» immer noch ein Ort der Heimat und des guten Essens. Auch längst Eingebürgerte zweiter und dritter Generation vernetzen sich hier. Jede migrantische Sprachgruppe findet ihre Heimat also in «ihrer» jeweiligen Mission.

Feiern auf Finnisch

Auch die evangelischen Kirchen der Schweiz sind nicht weniger vielsprachig. In der lutherischen Gemeinde Zürich etwa kann man auch schwedische und finnische Gottesdienste erleben.

Die 1200 Seelen starke Gemeinde zählt aktuell 17 Nationen. «Der finnische Gottesdienst ist für mich Heimatland», sagt eine lutherische Gläubige in Zürich.

Migration und Mundart

Auch Migrantinnen und Migranten lernen Schweizerdeutsch. Kinder sowieso. Doch taugt Schweizerdeutsch auch als Gottesdienstsprache? Diese Frage wird immer wieder diskutiert. Ist Mundart dem liturgischen Anspruch einer Feier angemessen? Wen schliesst man aus? Wen ein?

Dialekt passe gut im Gottesdienst, sagt die Baselbieter Pfarrerin Tabitha Walther. Aber es komme auf den Anlass und die Gemeinde an. Walther überlegt sich für jeden Gottesdienst, mit welchen Sprachen sie arbeitet: ob auf Mundart, gemischt mit Hochdeutsch oder mit Liedern und Texten weiterer Sprachen.

«Herausspüren, welche Sprache passt»

Gerade bei Hochzeiten und Abdankungen komme heute ein diverses Publikum zusammen, das multikulturell und multireligiös sei, sagt Tabitha Walther. Dem gerecht zu werden, sei ihr wichtig. Deshalb hat sie selbst viele Sprachen erlernt und sich in interreligiösem Dialog weitergebildet.

Ein weibliches Paar während der Trauung in einer Kirche.
Legende: Vielsprachigkeit habe viele Gesichter, sagt die Theologin Tabitha Walther. Als Pfarrerin müsse sie etwa wissen, welche Sprache zu welchem Kirchenpublikum passe. Keystone / GAETAN BALLY

Mit Mehrsprachigkeit meine sie auch eine religiöse Mehrsprachigkeit, sagt Tabitha Walther. «Als Profi muss ich wissen, wie viel Frömmigkeit und welche Sprache mein Gegenüber verträgt. Ich muss herausspüren, welche Sprache passt, um die Leute nicht total abzuturnen.»

Beim traditionellen Gottesdienst besteht die liberale Theologin Walther auf bestimmte Strecken Hochdeutsch. Liturgische Teile wie das «Unser Vater» sollten Hochdeutsch sein. «Weil das die Sprache ist, in der ich beten gelernt habe», sagt Tabitha Walther.

Eine Frage der Sozialisierung

Heimat erleben gläubige Menschen just in «ihren» liturgischen Sprachen. Das sind keine Umgangssprachen. Aber die Sprachen des Gottesdiensts sind die, in denen Menschen religiös sozialisiert wurden.

«Christentümer» in der Schweiz

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Wie feiern Lutheraner aus Schweden Weihnachten? Was läuft bei Brasilianerinnen an Silvester? Und wie begehen die orthodoxen Serben den Dreikönigstag? «Blickpunkt Religion» über «fremde Christentümer» mitten in der Schweiz.

Bei der Gottesdienstsprache geht es um kulturelle und spirituelle Beheimatung. Das gelte auch für andere Religionen, betont Theologin Tabitha Walther, die am Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) arbeitet.

Verstehen ohne Worte

In der «göttlichen Liturgie» der Ostkirchen etwa erklingen Kirchenslawisch und ein liturgisches Griechisch. Die Wortbedeutung dieser Gottesdienstsprachen bleibt den meisten Griechinnen oder Serben heute unverständlich.

Trotzdem fühlen sie sich in der prachtvoll gestalteten Liturgie, in den Gesängen und Rezitationen wohl und zu Hause. Das ist ein ähnlicher Effekt wie eine schön vorgetragene Rezitation aus dem Koran. Man versteht zwar den Text nicht, ist aber ergriffen.

Ein Mann liest im Koran.
Legende: Zum Mitschreiben: Genau wie im Judentum spielt auch im Islam die Originalsprache der Heiligen Schrift eine zentrale Rolle. Deswegen ist ihr Studium auch so wichtig. Keystone / THOMAS LOHNES

Beim Koran kommt noch etwas hinzu: Nach traditionellem Verständnis kommt ihm nur in der Originalsprache, dem Hocharabischen, Offenbarungsqualität zu. Und zwar dann, wenn die Suren laut rezitiert werden. Das muss ästhetisch und sprecherisch professionell geschehen. Erst so vermittle sich die Schönheit und Tiefe des Koran.

Die Grenzen einer Übersetzung

Die muslimische Lehrerin Esther Fouzi verfolgt in ihrem Religionsunterricht ein aufklärerisches Ziel. Sie will, dass ihre Schülerinnen und Schüler so viel Arabisch lesen und verstehen, dass sie sich ihr eigenes Bild vom Koran machen können.

Auch die besten Übersetzungen könnten nie die ganze Bedeutungsfülle eines Urtextes transportieren, sagt Esther Fouzi, die zwei kleine Klassen in Rüti (ZH) unterrichtet. Deshalb sei es so wichtig, dass Musliminnen und Muslime Grundkenntnisse im Hocharabischen haben.

Mündigkeit dank Mehrsprachigkeit

Grundkenntnis der Originalsprache gehört auch im religiösen Judentum zur religiösen Mündigkeit. Auch dort sollen Buben und Mädchen, bis sie 12 oder 13 Jahre alt sind, Hebräisch laut vortragen können. Erst dann sind sie religionsmündig.

Der Zauber der Originalsprache der jüdischen Bibel motiviere auch viele nicht-jüdische Menschen dazu, Hebräisch zu lernen. Das habe nicht nur, aber auch religiöse Gründe, erklärt die reformierte Theologin Tabitha Walter.

Männerhände halten die Tora in eine Kamera.
Legende: Hoppla, Hebräisch: Grundkenntnis gehört zur Grundausbildung im religiösen Judentum. Dem Zauber des Hebräisch erliegen aber auch nicht-jüdische Menschen. Keystone / ALESSANDRO DELLA BELLA

Im Hebräischen sei eben etwas von der Basis unserer ganzen Kultur «geronnen». Und wie beim Koran kann auch die Denkwelt und Poesie hebräische Bibel nur in der Originalsprache erfahren werden.

Auf genau diesen «Original-Sound» legt auch Esther Fouzi in ihrem Arabischunterricht wert. Im Unterricht spricht sie mit den Kindern Schweizerdeutsch und arbeitet mit hochdeutschen Übersetzungen des Koran. Eine Übersetzung ins Schweizerdeutsche gibt es nicht.

Bestseller Bibel

Bei der Bibel ist das anders. Sie wurde bis heute in 719 Sprachen übersetzt, in 2805 weiteren Sprachen liegen zumindest Teile der Bibel vor, etwa Neues Testament und Psalmen.

Das Christentum ging hier also einen anderen Weg als Islam und Judentum. Die Kirchen wollten die gute Botschaft überall einbringen, sowohl in landessprachlichen Gottesdiensten als auch mit der Bibelübersetzung.

So gibt es auch eine Bibel auf «Baselbieter Dütsch», auf «Bärndütsch» oder auch eine surselvische Bibel. Die «Bibla ecumena romontscha» war ein Jahrzehnte langes Projekt. Ökumenisch entschied man, nicht das ungeliebte «Rumansch grischun» zu wählen, sondern das surselvische Idiom.

Gottes Wort in der Sprache des Herzens

Warum dieser christliche Effort bei den Übersetzungen, selbst in kleinste Idiome: «Weil das die Sprache des Herzens ist», betont der ehemalige Präsident der Schweizer Bibelgesellschaft, Pfarrer Urs Jörg.

Inschriften, in Tafeln eingelassen in einer Kirchenwand.
Legende: Ein Beleg für das polyglotte Christentum: An den Wänden der Paternosterkirche in Jerusalem ist das «Unser Vater» in allen möglichen Sprachen verewigt. Getty Images / De Agostini

Zu jedem Theologiestudium an der Universität gehört das Lernen der biblischen Sprachen Hebräisch und Altgriechisch (Koine). Während die Kirchen dieses Sprachenlernen meist ihren Profis überlassen, ist das im praktizierten Islam, im Thai-Buddhismus oder auch im religiösen Judentum anders.

Aleph Bet Gimel Dalet He Waw Sajin …

In den jüdischen Privatschulen der Schweiz wird neben dem obligatorischen Lernstoff vom ersten Schultag an auch Hebräisch gelernt: Biblisches Hebräisch und, wer will, auch Neuhebräisch (Iwrit).

In liberalen Reformsynagogen wird mitunter auch auf Deutsch oder Englisch gebetet. Aber selbst dort ist Hebräisch omnipräsent. Es fühle sich sonst einfach nicht richtig an, sagt eine liberale Basler Jüdin. «Die Tora, die Torarollen müssen auf Hebräisch sein, sonst sind sie nicht echt.»

«Damit wir uns verstehen!»

Mehrsprachigkeit religiöser Menschen in der Schweiz: Das heisst also nicht nur polyglott in den Umgangssprachen zu sein, sondern auch mehrere religiöse Sprachen zu kennen. Für die Theologin Tabitha Walther wird die interreligiöse Dialogarbeit immer wichtiger.

Walther plädiert dafür, die Sprachenvielfalt in der Schweiz, die insbesondere religiöse Menschen mitbringen und pflegen, wertzuschätzen.

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 03.09.2022, 17:59 Uhr

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