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Sprache in der Erziehung «Sprachkompetenz wird für die Bildungschancen überbewertet»

Gemäss Bundesamt für Statistik werden in fast der Hälfte der Schweizer Familien zwei oder mehr Sprachen gesprochen. Mehrsprachigkeit gilt gerade auf dem globalisierten Arbeitsmarkt als grosser Vorteil.

Gleichzeitig haben gerade fremdsprachige Eltern oft Angst um die Integration und die Bildungschancen ihrer Kinder, wenn diese die Mehrheitssprache (die Sprache, die in der Gesellschaft am meisten gesprochen wird) nicht gut genug beherrschen.

In welcher Sprache sollen sie mit ihren Kindern reden: in der Mehrheitssprache oder doch in ihrer Muttersprache? Oder gar in beiden? Warum der Fremdsprachen-Zwang zu Hause nichts bringt, erklärt der Mehrsprachigkeitsforscher Raphael Berthele.

Raphael Berthele

Professor für Mehrsprachigkeitsforschung

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Raphael Berthele ist Professor am Institut für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg/CH. Er forscht unter anderem zu Mehrsprachigkeit im Spracherwerb und im Schulkontext.

SRF: Wie sag' ich's meinem Kinde – oder besser gesagt: in welcher Sprache?

Raphael Berthele: Grundsätzlich empfiehlt die Mehrsprachigkeitsforschung, zu Hause in jener Sprache zu sprechen, die man am besten beherrscht und in der man sich am wohlsten fühlt. Das ist meistens – aber nicht immer – die erste Sprache, mit der man aufgewachsen ist.

Man hört aber immer wieder von fremdsprachigen Eltern, die mit ihren Kindern in der Mehrheitssprache sprechen – mit dem Ziel, deren Integration zu fördern. Was ist daran schlecht?

Ich kenne keine einzige Studie, die gezeigt hätte, dass dies wirklich etwas bringt. Man muss kein Wissenschaftler sein, um zu verstehen, dass das keine gute Idee ist: Es ist schon rein emotional komisch, wenn Eltern mit ihren Kindern in einer Sprache sprechen, die sie eigentlich nicht recht beherrschen.

Gerade in der Beziehung mit den eigenen Kindern ist es wichtig, dass man zum Beispiel Gefühle präzise ausdrücken kann.

Mehrsprachigkeit: Vor- oder Nachteil für den Wortschatz?

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Oft wird befürchtet, dass Kinder, die zwei- oder mehrsprachig aufwachsen, in der jeweiligen Sprache einen kleineren Wortschatz hätten als einsprachige Kinder.

Der Wortschatz bleibe bei mehr- oder einsprachigen Kindern im Durchschnitt gleich, entgegnet jedoch Mehrsprachigkeitsforscher Berthele.

Mehrsprachige Kinder verwenden die verschiedenen Sprachen in unterschiedlichen Kontexten: Das Vokabular sei in der Schulsprache naturgemäss grösser als in der Sprache, welche die Kinder zu Hause sprechen.

Reicht es denn für den Spracherwerb fremdsprachiger Kinder, wenn sie erst ab der Einschulung mit der Mehrheitssprache in Berührung kommen?

Dazu gibt es keine eindeutige Antwort. Es gibt viele Beispiele von Menschen, die die Mehrheitssprache erst in der Schule gelernt haben und darin rasch ein hohes Niveau erreicht haben.

Die Bedeutung der Sprachkompetenzen für die Bildungschancen wird überbewertet.

Aber es ist für die Sprachkompetenz sicher förderlich, Kinder bereits im Vorschulalter mit der Mehrheitssprache vertraut zu machen. Etwa durch soziale Kontakte oder Bücher, Hörspiele und Filme. Grundsätzlich kann man sagen, dass Kinder unterschiedlich gut im Erlernen von Sprachen sind. Das zeigt auch unsere letzte Studie mit Primarschulkindern .

Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht der Staat? Sollte es – wie etwa in Schweden oder Spanien – mehr vorschulische Angebote geben, in denen Kinder die Mehrheitssprache frühzeitig lernen können?

Gerade in Städten gibt es viele solche Angebote. In Krippen etwa werden teilweise auch gezielt die Sprachkompetenzen der Kinder gefördert. Ich finde aber, dass die Eltern frei entscheiden sollen, ob sie solche Angebote für ihre Kinder in Anspruch nehmen oder nicht.

Schmälert die Freiwilligkeit nicht die Bildungschancen von fremdsprachigen Kindern?

Ein obligatorisches sprachspezifisches Angebot im frühen Kindesalter würde bestimmt die Kompetenzen in der Mehrheitssprache fördern. Aber die Bedeutung der Sprachkompetenzen für die Bildungs- und Berufschancen wird generell überbewertet.

Andere Faktoren wie der Bildungsgrad der Eltern oder Vorurteile von Lehrpersonen und Anbietern von Lehrstellen sind ebenso relevant. Auch das zeigt die Forschung.

Das Gespräch führte André Perler.

Schwerpunkt «Mehrsprachigkeit in der Schweiz»

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violette Illustration: Links sitzt alte Frau, hält Kabel, in der Mitte Mann, rechts eine Frau. Alle halten eine Sprechbüchse.
Legende: SRF

Vier Landessprachen, rund 42 Prozent zweisprachige Haushalte: Mehrsprachigkeit ist in der Schweiz allgegenwärtig – und vom 28. August bis 4. September Thema einer Schwerpunktwoche bei SRF Kultur.

Ausgewählte Highlights aus dem Programm:

Sonntag, 28. August 2022

  • Pratteln, mon amour: Unsere Autorin kam als kleines Kind aus Albanien in die Schweiz. Anfangs verstand sie kein Wort – dann zog sie um (Artikel)
  • Sprachland Schweiz: Wo ein Wille ist, ist auch eine Vielfalt (Artikel)

Montag, 29. August 2022

Dienstag, 30. August 2022

  • Spielfilm «Die Sprache des Herzens» : Ende des 19. Jahrhunderts nimmt sich eine französische Nonne der taubblinden Jugendlichen Marie Heurtin an, die keine Form der Kommunikation kennt. (SRF 1, 00:00 Uhr)
  • Mundartserie: «Die fünfte Landessprache» und ihre Einflüsse auf die deutsche Sprache (Radio SRF 1, 9:40 Uhr): Shaqiri, Xhaka oder Dzemaili

Mittwoch, 31. August 2022

Donnerstag, 1. September 2022

Freitag, 2. September 2022

Sonntag, 4. September 2022

  • «Perspektiven»: Der mythische Ursprung der Vielsprachigkeit – die Sprachverwirrung zu Babel (Radio SRF 2 Kultur, 8:30 Uhr)
  • Dokumentarfilm «Die Frau mit den fünf Elefanten»: Swetlana Geier (1923-2010) gilt als die bedeutendste Übersetzerin von russischer Literatur ins Deutsche. Mit 85 Jahren reiste sie zum ersten Mal seit dem Krieg zurück in ihre Heimat – die Ukraine. (SRF 1, 23:45 Uhr)

Radio SRF 1, Treffpunkt, 31.08.2022, 10:03 Uhr ; 

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