Wer an Weihnachten einen Gottesdienst besucht, findet sich vermutlich in verhältnismässig gut gefüllten Reihen wieder. In vielen Kirchen ist dies übers Jahr gesehen aber die Ausnahme. Denn die Zahl der Kirchgängerinnen und Kirchgänger schrumpft kontinuierlich.
Die Säkularisierung der Schweiz schreitet voran und gleichzeitig erhält die Familie eine wichtigere Rolle bei der Weitergabe von Religion. Das zeigen auch jüngst publizierte Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS).
Wie die Eltern, so in der Regel auch das Kind
Religionszugehörigkeit ist stark vom sozialen Umfeld geprägt. Das ist heute so, das war auch früher so, sagt Religionssoziologe Jörg Stolz, Professor an der Universität Lausanne. Und doch spielt die Familie eine zunehmend wichtigere Rolle.
In früheren Gesellschaften habe die ganze Gesellschaft noch die Religion und Religiosität mitgetragen. Sogar, wenn die Eltern wenig gläubig waren, wurde ein Kind doch religiös geprägt, so Stolz. Heute sind es vor allem die Eltern, die die Religionszugehörigkeit der Kinder prägen: Über 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung ab 15 Jahren haben dieselbe Religionszugehörigkeit wie mindestens ein Elternteil.
Jede Generation ist etwas weniger religiös als die vorherige.
Die Prägung, das zeigen die Zahlen auch, funktioniere aber nicht vollständig, sagt Stolz. «Jede Generation ist etwas weniger religiös als die vorherige. Im Durchschnitt sind die Kinder immer etwas weniger religiös als die Eltern.»
Stufenweise Verweltlichung
Dieser Prozess habe schon vor rund 100 Jahren begonnen. Nur war es lange nicht wirklich sichtbar. Denn die Säkularisierung der Gesellschaft laufe in der Regel stufenweise ab.
Zuerst nehme die Religionspraxis ab, zum Beispiel der Gang zur Kirche, dann die persönliche Religiosität, etwa der Glaube an Gott und dann erst die Zugehörigkeit, die Konfessionsbezeichnung in den amtlichen Dokumenten.
«Die Schweiz ist im dritten Stadium, da nimmt die Zugehörigkeit ab. Jetzt kommen plötzlich die Konfessionslosen auf den Plan», ergänzt der Religionssoziologe.
Gegenbewegungen
Rund 30 Prozent der Schweizer Bevölkerung gibt heute an, konfessionslos zu sein. Dabei hat sich der Anteil der konfessionslosen Eltern in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt auf rund 10 Prozent. Und so dreht das Generationen-Rad in Richtung Säkularisierung kontinuierlich und sichtbar. Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit. Zwar gebe es hier und da auch Gegenbewegungen, oft aber aus der Not geboren.
«Man sieht zum Beispiel, dass es in Russland oder in Georgien einen Aufschwung der Religion gegeben hat, als es grosse Krisen in der Gesellschaft gab – also grosse Wirtschaftskrisen, Identitätskrisen, Hyperinflation, Krieg und Bürgerkrieg», sagt Religionssoziologe Jörg Stolz. Dann also, wenn weltliche Lösungen fehlten, scheint die Religion zumindest zwischenzeitlich willkommen.