Wie schmeckt der Kampf für Frauenrechte? Nach Vanille, Zucker und Wein. Diese drei Zutaten enthält der «Biskuitkuchen für Suffragetten».
Das Rezept dafür steht in einem Kochbuch, das britische und amerikanische Frauenrechtlerinnen 1915 veröffentlichten und nun neu aufgelegt wird.
Das Buch enthält rund 60 Rezepte für Mahlzeiten, Desserts und Drinks – empfohlen von führenden Aktivistinnen, Politikern und Intellektuellen, die sich vor 1918 für Frauenrechte einsetzten.
Zwischen Kochlöffel und Kampfansagen
Ein Kochbuch für mehr Gleichberechtigung? Aus heutiger Sicht klingt das kurios. Damals gab es dafür einen praktischen Grund: Man brauchte Geld, um die politische Kampagne zu finanzieren. Einen symbolischen Grund: Man wollte beweisen, dass Frauen Pfannen und Politik gleichzeitig im Griff haben können.
Und einen sozialen Grund: Nicht nur für exklusive Häppchen brauche es Kochbücher, sondern für den Alltag der einfachen Leute: «Für die soziale Entwicklung ist das Esszimmer wichtiger als der Salon», heisst es im Vorwort.
«Man darf nicht vergessen, dass die frühen Frauenrechtlerinnen sich nicht nur für das Wahlrecht, ihren Platz an Universitäten und auf dem Arbeitsmarkt interessierten – sondern auch für Gesundheit und Ernährung», sagt die Kulturwissenschaftlerin und Kochbuchautorin Elisabeth Bronfen. «Mit einem Kochbuch konnten sie informieren, wie man gesund und sparsam kochen kann.»
Zwischen Esszimmer und Salon
Denn die Frauenrechtsbewegung in England verstand sich damals auch als Bewegung der Arbeiterschicht: «Was man in der Küche machte, sollte wohl alle Schichten etwas angehen, egalitärer sein, keine Grenze ziehen zwischen Bediensteten und der gehobenen Gesellschaft.»
Entsprechend einfach und günstig sind die Rezeptvorschläge der Suffragetten: gekochter Reis, Spaghetti, Baked Beans oder «guter Kaffee», frisch gemahlen und gefiltert. Das alles lässt sich schnell zubereiten – schliesslich braucht frau Zeit für «die grosse Sache».
Zwischen Kochbuch und Manifest
«Denken Sie an die Organisation, die es erfordert, rechtzeitig eine Mahlzeit auf den Tisch zu stellen», schreibt Julia Lathrop, die als erste Frau eine amerikanische Bundesbehörde leitete: «Kein Wunder, sagen die Männer: Ich kann nicht kochen.»
Solche Manifeste und Satirisches sind zwischen den Rezepten eingestreut. Etwa die zynische Anleitung für einen «Pie for a Suffragist’s Doubting Husband», der mit Krieg, Sklaverei und arbeitenden Frauen gefüllt ist.
Die erste methodistische Priesterin der USA, Anna Shaw, schreibt: Wenn sie ein Rezept einsenden müsse, dann eine Erklärung, wie man einen Nagel richtig einschlage. Eine Absage an das Bild, dass die Frau im Haushalt den Herd hütet.
Unter Frauen
Die Küche sei traditionell ein weiblicher Ort, sagt Elisabeth Bronfen: «Das gilt nicht für die hohe Schule der Kochkunst in den Restaurants. Aber für die Alltagsküche: Hier geben Grossmütter Wissen an Töchter und Enkel weiter. In vielen Kulturen dürfen Männer gar nicht in der Küche sein – sie ist ein Ort weiblicher Geselligkeit.»
Diese Bild der kochenden Frau hätten später Kochbuchautorinnen wie Juliette Child oder Martha Stewart auf den Kopf gestellt, indem sie bewiesen: «Die Frau am Herd kann gut auch die professionelle Frau am Herd sein.»
Bloss nicht nachkochen
Das Kochbuch von 1915 hat noch wenig mit Raffinesse und Hochglanz zu tun. Mit Eiweiss und anderen Nährstoffen gestreckte Speisen wirken aus heutiger Sicht sogar eher unappetitlich. Es ist eher der Kampfgeist als die Kulinarik, der dieses Kochbuch heute lesenswert macht.
Bereits das Cover von 1915 war eine Ansage: Uncle Sam wiegt Frauen auf der Waage gegen Männer auf. Die Neugestaltung wirkt dagegen richtig altbacken: Junge, schlanke, freundlich lächelnde Fräuleins in Retroschürzen.
Da würde sich Lady Constance Lytton, die mehrfach aus dem Gefängnis floh und sich mit einer Haarnadel ein V für «Votes» in die Brust ritzte, wohl im Grab umdrehen. Immerhin findet sich ihre Biografie jetzt im Nachwort.