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Eine Hand reckt eine Gabel in die Höhe.
Legende: Mit Rezepten für gleiche Rechte kämpfen: 1915 schreiben englischsprachige Suffragetten ein Kochbuch. Imago/Steinach
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Rezepte für gleiche Rechte Dieses Kochbuch war eine Kampfansage

1915 warben englische Aktivistinnen mit einem Kochbuch um Geld und Gunst für das Frauenstimmrecht. Und bewiesen: Wer abstimmt, kann trotzdem noch kochen. Das unkonventionelle Kochbuch wird nun neu aufgelegt.

Wie schmeckt der Kampf für Frauenrechte? Nach Vanille, Zucker und Wein. Diese drei Zutaten enthält der «Biskuitkuchen für Suffragetten».

Audio
100 Sekunden Wissen: Wer waren die Suffragetten?
aus 100 Sekunden Wissen vom 19.02.2013. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 28 Sekunden.

Das Rezept dafür steht in einem Kochbuch, das britische und amerikanische Frauenrechtlerinnen 1915 veröffentlichten und nun neu aufgelegt wird.

Der Anlass: Seit 100 Jahren können Britinnen abstimmen

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Das Suffragetten-Kochbuch wird in Grossbritannien zum 100-Jahre-Jubiläum des Frauenstimmrechts neu aufgelegt. Es ist Teil der #100Vote-Kampagne, mit der an den Kampf darum erinnert wird.

1918 erhielten Frauen in Grossbritannien mit dem «Representation of the People Act» das Wahlrecht – stark eingeschränkt: Sie mussten über 30 sein und das kommunale Stimmrecht besitzen, also wohlhabend sein.

Das Buch enthält rund 60 Rezepte für Mahlzeiten, Desserts und Drinks – empfohlen von führenden Aktivistinnen, Politikern und Intellektuellen, die sich vor 1918 für Frauenrechte einsetzten.

Zwischen Kochlöffel und Kampfansagen

Ein Kochbuch für mehr Gleichberechtigung? Aus heutiger Sicht klingt das kurios. Damals gab es dafür einen praktischen Grund: Man brauchte Geld, um die politische Kampagne zu finanzieren. Einen symbolischen Grund: Man wollte beweisen, dass Frauen Pfannen und Politik gleichzeitig im Griff haben können.

Und einen sozialen Grund: Nicht nur für exklusive Häppchen brauche es Kochbücher, sondern für den Alltag der einfachen Leute: «Für die soziale Entwicklung ist das Esszimmer wichtiger als der Salon», heisst es im Vorwort.

Buchhinweis

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  • L.O. Kleber (Hrsg.): «The Original Suffrage Cook Book», Aurora Metro Books 2018.

«Man darf nicht vergessen, dass die frühen Frauenrechtlerinnen sich nicht nur für das Wahlrecht, ihren Platz an Universitäten und auf dem Arbeitsmarkt interessierten – sondern auch für Gesundheit und Ernährung», sagt die Kulturwissenschaftlerin und Kochbuchautorin Elisabeth Bronfen. «Mit einem Kochbuch konnten sie informieren, wie man gesund und sparsam kochen kann.»

Zwischen Esszimmer und Salon

Denn die Frauenrechtsbewegung in England verstand sich damals auch als Bewegung der Arbeiterschicht: «Was man in der Küche machte, sollte wohl alle Schichten etwas angehen, egalitärer sein, keine Grenze ziehen zwischen Bediensteten und der gehobenen Gesellschaft.»

Elisabeth Bronfen

Elisabeth Bronfen

Literaturwissenschaftlerin

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Elisabeth Bronfen ist Lehrstuhlinhaberin am Englischen Seminar der Universität Zürich, seit 2007 zudem Global Distinguished Professor an der New York University. Ihr Spezialgebiet ist die anglo-amerikanische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie hat zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze in den Bereichen Gender Studies, Psychoanalyse, Film und Kulturwissenschaften geschrieben.

Webseite von Elisabeth Bronfen, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen

Entsprechend einfach und günstig sind die Rezeptvorschläge der Suffragetten: gekochter Reis, Spaghetti, Baked Beans oder «guter Kaffee», frisch gemahlen und gefiltert. Das alles lässt sich schnell zubereiten – schliesslich braucht frau Zeit für «die grosse Sache».

Zwischen Kochbuch und Manifest

«Denken Sie an die Organisation, die es erfordert, rechtzeitig eine Mahlzeit auf den Tisch zu stellen», schreibt Julia Lathrop, die als erste Frau eine amerikanische Bundesbehörde leitete: «Kein Wunder, sagen die Männer: Ich kann nicht kochen.»

Eine Frau sitzt an einem Schreibtisch.
Legende: Schrieb ein Manifest für das Kochbuch: die US-Politikerin Julia Lathorp. Wikimedia/ © National Photo Company Collection/Library of Congress

Solche Manifeste und Satirisches sind zwischen den Rezepten eingestreut. Etwa die zynische Anleitung für einen «Pie for a Suffragist’s Doubting Husband», der mit Krieg, Sklaverei und arbeitenden Frauen gefüllt ist.

Rezept: «Pie for a Suffragist's Doubting Husband»

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Zutaten:

  • Ein Quart Milch der menschlichen Güte
  • Gründe
    1. Krieg
    2. Weisse Sklaverei
    3. Kinderarbeit
    4. 8'000'000 arbeitende Frauen
    5. Schlechte Strassen
    6. Giftiges Wasser
    7. Verschmutztes Essen

Zubereitung:

Mische die Kruste mit Zartgefühl und Samthandschuhen an, brauche keinen Sarkasmus, speziell nicht für die obere Schicht der Kruste.

Die Oberfläche der Kruste muss mit extremer Vorsicht behandelt werden, weil sie rasch sauer wird, wenn sie zu harsch angegangen wird.

Die erste methodistische Priesterin der USA, Anna Shaw, schreibt: Wenn sie ein Rezept einsenden müsse, dann eine Erklärung, wie man einen Nagel richtig einschlage. Eine Absage an das Bild, dass die Frau im Haushalt den Herd hütet.

Unter Frauen

Die Küche sei traditionell ein weiblicher Ort, sagt Elisabeth Bronfen: «Das gilt nicht für die hohe Schule der Kochkunst in den Restaurants. Aber für die Alltagsküche: Hier geben Grossmütter Wissen an Töchter und Enkel weiter. In vielen Kulturen dürfen Männer gar nicht in der Küche sein – sie ist ein Ort weiblicher Geselligkeit.»

Diese Bild der kochenden Frau hätten später Kochbuchautorinnen wie Juliette Child oder Martha Stewart auf den Kopf gestellt, indem sie bewiesen: «Die Frau am Herd kann gut auch die professionelle Frau am Herd sein.»

Bloss nicht nachkochen

Das Kochbuch von 1915 hat noch wenig mit Raffinesse und Hochglanz zu tun. Mit Eiweiss und anderen Nährstoffen gestreckte Speisen wirken aus heutiger Sicht sogar eher unappetitlich. Es ist eher der Kampfgeist als die Kulinarik, der dieses Kochbuch heute lesenswert macht.

Rezept: «Suffrage Angel Cake»

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Zutaten:

  • 11 Eier
  • Eine Tasse Swansdown Mehl
  • Eineinhalb Tassen körniger Zucker
  • 1 TL Weinstein
  • 2 TL Vanille
  • 1 Prise Salz

Zubereitung:

Eier leicht schlagen. 7 Mal den Zucker sieben, dann den Eiern beifügen. So wenig als möglich schlagen.

Das Mehl 9 Mal sieben, nur eine Tasse voll verwenden, den Rest beiseite stellen. Füge dem Mehl den Weinstein bei; mische es mit Eiern und Zucker; nun die Vanille.

In die Biskuitform füllen.

Mit wenig Hitze in den Ofen schieben. Beim Backen Vorsicht walten lassen, um den Erfolg zu sichern.

Nach den ersten 10 Minuten, erhöhe die Hitze alle 5 Minuten, bis zu den letzten 4 bis 5 Minuten, wo es starke Hitze braucht.

Nach 30 Minuten nehme den Kuchen aus dem Ofen und drehe die Form um, bis alles abgekühlt ist.

Bereits das Cover von 1915 war eine Ansage: Uncle Sam wiegt Frauen auf der Waage gegen Männer auf. Die Neugestaltung wirkt dagegen richtig altbacken: Junge, schlanke, freundlich lächelnde Fräuleins in Retroschürzen.

Bildvergleich

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Legende:Anderes Geschlecht, gleiches Gewicht vs. Retro-Chic am Herd: Das alte und das neue Cover.Aurora Metro Books / Projekt Gutenberg

Da würde sich Lady Constance Lytton, die mehrfach aus dem Gefängnis floh und sich mit einer Haarnadel ein V für «Votes» in die Brust ritzte, wohl im Grab umdrehen. Immerhin findet sich ihre Biografie jetzt im Nachwort.

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