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Donald Trump und die Hexenjagd
Aus Kultur-Aktualität vom 05.10.2023. Bild: Yuki Iwamura/Bloomberg via Getty Images
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Schiefe historische Parallelen Trumps Mär von der «grössten Hexenjagd aller Zeiten»

Donald Trump behauptet notorisch, gegen ihn laufe «die grösste Hexenjagd aller Zeiten». Das zeugt von fehlender Geschichtskenntnis – und gibt Einblick ins krude Selbstbild des ehemaligen US-Präsidenten.

Bei seinem aktuellen Betrugsprozess in New York wiederholte Donald Trump, was er im Zusammenhang mit den zahlreichen Verfahren, die er am Hals hat, schon behauptet hat: Er sei das Opfer einer gigantischen «Hexenjagd».

Trump bezieht sich damit auf eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte: die Hexenverfolgungen zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert. Gemäss Schätzungen fanden in Westeuropa rund 110'000 Hexenprozesse statt, knapp jeder Zehnte im Raum der heutigen Schweiz.

Gemälde einer Prozesses im 17. Jahrhundert: Richter in Roben stehen Menschen gegenüber, die auf ihre Knie fallen.
Legende: 1692 fanden die berüchtigten Hexenprozesse von Salem in Neuengland statt. 20 Menschen wurden verurteilt. Tompkins H. Mattesons Gemälde zeichnet den Prozess nach. Getty Images / VCG / Corbis / Library of Congress

Der bekannteste Hexenprozess in den USA war derjenige von Salem in Neuengland im Jahr 1692. Er endete mit 20 Hinrichtungen.

Fehlende historische Grundlage

Die Parallele, die Donald Trump zieht, ist mehr als schief. Erstens warfen die Strafverfolger während der historischen Prozesse den angeklagten Frauen und Männern vor, sie würden per Zauberspruch Schaden über Mensch und Tier bringen: Krankheiten, Unfruchtbarkeit, Hagelstürme oder Missernten.

Ein alter Mann mit aschblondem Haar hält Blätter in die Kamera. Er ist erregt.
Legende: Angriff ist seine Verteidigung: Der ehemalige US-Präsident am 2. Oktober 2023 vor dem New Yorker Supreme Court. Den Zivilprozess wegen Betrugs hält er selbst für Betrug. Getty Images / Bloomberg / Stephanie Keith

Im Fall von Donald Trump jedoch hat keiner der Klägerinnen und Kläger je behauptet, der Beschuldigte würde sich der Zauberei und damit metaphysischer Kräfte bedienen. Vielmehr betreffen die mittlerweile über 90 Anklagepunkte gegen den Ex-Präsidenten ganz handfeste Vergehen.

Es geht um Steuerbetrug, Wahlmanipulation, versuchten Umsturz, Unterschlagung von geheimen Dokumenten oder das Zahlen von Schweigegeld.

Recht statt Folter

Bei den historischen Hexenprozessen war – als zweiter Unterschied – in aller Regel Folter im Spiel, um Geständnisse zu erzwingen. Bei Donald Trump ist nicht bekannt, dass man ihm je Daumenschrauben angelegt hätte.

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Trump-Anklage «kann nicht politisch sein»
aus Echo der Zeit vom 06.08.2023. Bild: Keystone
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Vielmehr verlaufen die vielen Strafverfahren nach rechtsstaatlichen Prinzipien. Donald Trump darf auch Anwälte beiziehen, was er bekanntermassen tut, und zwar im grossen Stil und mit beträchtlichem finanziellen Aufwand.

Der Pakt mit dem Teufel

Der dritte und wohl wichtigste Unterschied ergibt sich daraus, dass die Richter zur Zeit des Hexenwahns den Opfern unterstellten, sie steckten mit dem Teufel unter einer Decke. Dass sie also das höchstpersönliche Werkzeug des mächtigen Gehörnten auf Erden wären.

Wenn die damaligen Henker eine angebliche Hexe dem Feuer übergaben, ging es der Obrigkeit denn auch darum, sich selbst als «Bezwinger des Teufels» zu inszenieren. Und vor dem einfachen Volk die eigene Macht zu demonstrieren.

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Eine kurze Geschichte der Hexenverfolgung
Aus SRF school vom 28.08.2021.
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Bei Donald Trump liegt der Fall anders. Er ist es, der von Hexenjagd spricht und sich damit – implizit – als Hexenmeister bezeichnet. Niemand sonst tut dies, ausser er selbst und seine Getreuen.

Alle sind gleich, nur einer ist gleicher

Damit unterstellt Trump den Strafverfolgern, sie sähen in ihm einen Menschen mit übernatürlichen Kräften. Und sie versuchten sich durch die Anklagen gegen ihn, den nahezu allgewaltigen Donald Trump, als Kerle zu beweisen.

Reproduktion eines Drucks, auf dem gehörnte Wesen einen festlichen Akt abhalten.
Legende: Wer von Hexenjagd spricht, muss sich auch als Hexenmeister titulieren lassen. Ob Donald Trump bei geheimen nächtlichen Treffen wohl sein Unwesen treibt? IMAGO / H. Tschanz-Hofmann

Diese Selbstzuschreibung mag völlig verquer erscheinen. Aber sie lässt tief blicken: Indem Donald Trump die finstere Zeit der Hexenverfolgung bemüht und sich selbst zum Hexenmeister macht, setzt er sich – unter Missachtung der damaligen Opfer – als aussergewöhnlichen Menschen in Szene. Als einen, der sich offenbar als allen anderen überlegen wahrnimmt.

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Radio SRF2 Kultur, Kultur-Aktualität, 6.10.2023, 8:15 Uhr

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