Das Schwarze Loch beschäftigt gerade die Öffentlichkeit. Schwarze Löcher gibt es aber nicht nur im Weltall, sondern auch in der Kultur – und zwar schon etwas länger: ein erhellender Streifzug durch die Kulturgeschichte mit dem MedienwissenschaftlerJohannes Binotto.
SRF: Seit wann gibt es das Motiv des Schwarzen Lochs in der Kultur?
Johannes Binotto: In der astrophysischen Bedeutung von Schwarzen Löchern setzt das Motiv erst mit deren Entdeckung ein.
Es gibt aber bereits im 19. Jahrhundert Spekulationen über Schwarze Löcher, bewiesen werden sie erst mit Einstein.
Dann tauchen sie in der Science-Fiction-Literatur und in Filmen auf. Etwa im Roman «Fiasko» von Stanislaw Lem oder in Walt Disneys «Das schwarze Loch».
Die Idee des Unsichtbaren inmitten des Sichtbaren treibt die Kultur schon lange um.
Gibt es ausser in der Science Fiction auch andere Kulturbereiche, in denen Schwarze Löcher auftauchen?
Das Motiv des Schwarzen Lochs als etwas, das sich nicht sehen lässt oder als reine Negativität bestimmt ist, hat eine lange Tradition.
Solche Überlegungen finden wir etwa in der mittelalterlichen Mystik, in der Literatur und auch in der bildenden Kunst. Die Idee des Unsichtbaren inmitten des Sichtbaren quält und treibt die Literatur und Kultur schon seit Jahrhunderten um.
Können Sie Beispiele nennen?
Das schönste Schwarze Loch der Literatur- und Kulturgeschichte, das ich kenne, finden wir am Anfang und am Ende von Edgar Allan Poes «The Fall of the House of Usher». Darin wird ein Haus beschrieben, das neben einem Tümpel steht, das als absolut schwarz beschrieben wird.
Am Ende der Geschichte versinkt das Haus darin. Dieser Tümpel lässt sich als absolute Negativität lesen, aber zugleich auch als Tintenfass. Das «House of Usher» entsteht also aus dem Tintenfass und verschwindet wieder darin.
Absolutes Schwarz, die Abwesenheit von Licht, sieht man nicht.
Haben Schwarze Löcher nicht immer einen negativen oder verunsichernden Beiklang?
Verunsicherung auf jeden Fall. Negativ im Sinne von einfach nur Angst auslösen – das wäre zu simpel.
Wenn man genau weiss, dass man nur Angst davor haben muss, dann ist die Verunsicherung wieder eliminiert. Schwarze Löcher geben einem das Gefühl, da ist etwas im Zentrum, das fasziniert, aber noch nicht ausgedeutet ist.
Der indisch-britische Künstler Anish Kapoor hat im letzten Jahr in einem Museum in Porto ein Schwarzes Loch angelegt. Ein Besucher dachte, es sei nur aufgemalt und fiel dann in ein zweieinhalb Meter tiefes Loch. Hat das Motiv auch etwas mit Täuschung und Illusion zu tun?
Ja. Absolutes Schwarz – die Abwesenheit von Licht – sieht man nicht. Wenn man glaubt, man sehe schwarz, dann füllt man nur etwas auf, wo buchstäblich nichts zu sehen ist.
Es ist sehr typisch, dass man dann plötzlich zwischen der Wahrnehmung einer Oberfläche und einem Loch schwankt.
Gibt es auch humorvolle Varianten von Schwarzen Löchern?
Das ist ein absoluter Klassiker – etwa in den Animationsfilmen von «Tom und Jerry». Wenn etwa mit schwarzer Farbe ein Loch auf den Felsen gemalt wird und dieses plötzlich ein Tunnel ist. Fährt der Zug rein, wird der Tunnel dann kurzerhand weggewischt. Mit dieser Paradoxie wird oft gespielt.
Das Gespräch führte Alice Henkes.