Ob nach Kündigungen, Frühpensionierungen oder durch andere Sparmassnahmen: Die Kulturredaktionen des Tagesanzeiger, Bund oder der Berner Zeitung mussten und müssen Federn oder besser gesagt Stellenprozente lassen. Die Tendenz ist eindeutig: Die Feuilletons werden dünner – da geht es der Kultur nicht anders als den anderen Ressorts von Traditionszeitungen. Welche Folgen dieser Feuilletonschwund für die Kulturszene hat, erklärt Medienwissenschaftler Matthias Zehnder.
SRF: Die Feuilletons werden immer dünner. Es gibt immer weniger Kritiken von Konzerten, Theateraufführungen oder Büchern. Wie wirkt sich das auf die Kulturproduktion aus?
Matthias Zehnder: Das hat zwei konkrete Konsequenzen. Zum einen gibt es die banale Marketing-Konsequenz: Man erfährt als potenzieller Konzertgänger weniger über mögliche Auftritte, die einen interessieren könnten. Die Kulturbetriebe verlieren an Zuschauer und Zuschauerinnen, weil sie sie nicht mehr erreichen können.
Es sollte zu einer Auseinandersetzung der Gesellschaft mit der Kultur kommen. Genau das findet immer weniger statt.
Und das andere ist: Viele Kulturangebote verlieren ihre Beziehung zur Gesellschaft. Die Kunst wird zur «l'art pour l'art», weil sie sich nur noch mit sich selbst beschäftigt. Kultur sollte sich an der Gesellschaft reiben können. Es sollte zu einer Auseinandersetzung der Gesellschaft mit der Kultur kommen. Genau das findet immer weniger statt.
Welche Art von Kultur leidet am meisten?
Alles, was mit Blockbuster-Kultur zu tun hat, funktioniert noch. Blockbuster im kulturellen Sinn kann eine Ausstellung in der Fondation Beyeler sein oder eine besonders spektakuläre Schau im Zürcher Kunstmuseum. Alles, was herausragt – das teuerste Kunstwerk oder eine besonders spektakuläre Installation – wird weiterhin von Medien transportiert.
Die Unterhosen von Elton John interessieren mehr als die musikalische Qualität des Popkonzerts um die Ecke.
Alles, was darunter ist, wird nicht mehr transportiert: seien es kleinere Konzerte oder Nischenausstellungen. Was weiterhin Anklang findet, ist Populärkultur. Doch auch da geht es in der Regel um das Sensationelle. Plakativ gesagt: Die Unterhosen von Elton John interessieren mehr, als die musikalische Qualität des Popkonzerts um die Ecke.
Es gibt viele digitale Angebote. Sehen Sie Vorteile für eine Kulturberichterstattung ausserhalb der traditionellen Medien?
Ja. Das Angebot über Kultur ist heute grösser, als es vor dem Internet war – man muss es allerdings suchen. Es gibt Websites über jedes erdenkliche Genre von Büchern, über Musik bis hin zum Theater. Auf diesen Seiten kann man sich eingehend vertiefen. Das Problem daran: Man kann sich hervorragend informieren, aber nur, wenn man es auch selbst will.
Kultur lebt davon, dass ich etwas erfahre, von dem ich nicht gewusst habe, dass es mich interessiert.
In den Medien ist ein Effekt wichtig: das über die Ränder gucken. Der Medienwissenschaftler und Autor Umberto Eco hat diesen Effekt «Serendipity» genannt, auf deutsch soviel wie glücklicher Zufall. Sprich: Ich lese Dinge, von denen ich gar nicht gewusst habe, dass sie mich interessieren. Kultur lebt davon, dass ich etwas erfahre, von dem ich nicht gewusst habe, dass es mich interessiert. Das findet heute weniger statt.
Das Gespräch führte Gisela Feuz.