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Schweizer im Dritten Reich Die Gestapo-Agentin, Hitlers Astrologe und der Diplomat

Von dunklen Allianzen bis zu diplomatischer Rettung: Drei Schweizer agierten im Zentrum des Nazi-Systems – als Spionin, Sternendeuter und stiller Häftlingshelfer. Ihre Geschichten sind so verstörend wie faszinierend.

In der Waffen-SS kämpften während des Zweiten Weltkriegs rund 2000 Schweizer für Nazi-Deutschland. Das wurde in den vergangenen Jahren mehrfach historisch aufgearbeitet. Weniger bekannt ist, dass auch einige Schweizerinnen und Schweizer für die Gestapo oder in den Nazi-Ministerien in Berlin arbeiteten. Es gab aber auch jene, die im Dritten Reich versuchten, die Lage von Kriegsgefangenen zu verbessern.

Carmen Mory – die Gestapo-Agentin aus Adelboden

Carmen Maria Mory wächst als Tochter eines angesehenen Arztes in Adelboden auf. Früh sucht sie die Unabhängigkeit und lebt in europäischen Grossstädten. In Berlin der 1930er-Jahre bewegt sie sich im Umfeld einflussreicher Nationalsozialisten und beginnt 1937 schliesslich, für die Gestapo zu spionieren.

Frau im Pelzmantel zwischen uniformierten Personen.
Legende: Carmen Mory (Mitte) nimmt 1947 ihr Todesurteil im Ravensbrück-Prozess in Hamburg entgegen. Keystone/AP

Unter dem Decknamen S11 liefert Carmen Mory Berichte über deutsche Emigranten. 1938 wird sie in Paris als Spionin verhaftet und zum Tode verurteilt. Dann folgt die Begnadigung – unter der Bedingung, mit dem französischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs will Mory zurück zur Gestapo. Die Deutschen verdächtigen sie aber, Doppelagentin zu sein. Sie wird deshalb 1941 ins KZ Ravensbrück gebracht.

Das Konzentrationslager Ravensbrück

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In Ravensbrück errichtet die SS ab 1939 das grösste Frauen-Konzentrationslager auf deutschem Gebiet. In den Jahren 1939 bis 1945 werden etwa 120'000 Frauen und Kinder, 20'000 Männer und 1200 weibliche Jugendliche als Häftlinge registriert. Die nach Ravensbrück Deportierten stammen aus über 30 Nationen, unter ihnen Jüdinnen und Juden sowie Sinti und Roma.

Zehntausende werden ermordet, sterben an Hunger, Krankheiten oder durch medizinische Experimente, die SS-Lagerärzte und -ärztinnen an den Häftlingen durchführen.

Direkt neben dem KZ-Gelände errichtet die Firma Siemens & Halske 20 Werkhallen, in denen Häftlinge für Zwangsarbeit eingesetzt werden. Im Verlauf des Krieges entstehen über das ganze Reich verteilt über 40 Aussenlager.

Carmen Mory bleibt in Ravensbrück fast ein Jahr in Einzelhaft. Während dieser Zeit wird sie auch einmal ausgepeitscht. Dann aber wird sie Blockälteste im Krankenblock 10. Das ist eine Position, die Macht, aber auch eine besondere Beobachtung durch die Lagerleitung bedeutet.

Zeitzeuginnen schildern Mory als unberechenbar: Sie soll Mitgefangene misshandelt und Mordaktionen befohlen haben. Andere berichten, sie habe Kranke geschützt. Nach Kriegsende arbeitet sie kurzzeitig für die Briten als Nazi-Jägerin. Sie spürt ehemalige Lagerverantwortliche auf, wird aber bald selbst wegen ihrer Vergangenheit angeklagt.

Im Ravensbrück-Prozess tritt Mory als gebildete, selbstbewusste Angeklagte auf. Widersprüchliche Aussagen von Zeuginnen bestätigen das Bild einer zwiespältigen Persönlichkeit. Am 3. Februar 1947 wird sie zum Tode verurteilt. Am 9. April begeht sie in ihrer Zelle Suizid.

Karl Ernst Krafft – Hitlers Astrologe

Es gab auch Schweizer, die direkt im Machtapparat der Nazis arbeiteten. Einer davon war der Basler Karl Ernst Krafft, der für das Propaganda-Ministerium von Joseph Goebbels Horoskope erstellte und Prophezeiungen über einen positiven Kriegsverlauf machte.

Schwarz-weiss Porträt eines jungen Mannes im Anzug.
Legende: Karl Ernst Krafft als junger Mann: Für die Nazis las er die Sterne – bis er fallen gelassen wurde. Imago-Bridgeman

Krafft, ein hochbegabter Mathematiker mit Hang zum Okkulten, will die Astrologie wissenschaftlich beweisen. Er scheitert jedoch mit seinen Ideen an den Universitäten in Basel und Genf. Von der Schweizer Wissenschaft abgelehnt, sucht er bald Anerkennung in Deutschland. 1937 zieht Krafft mit seiner Frau in den Schwarzwald.

Kurz vor dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler im November 1939 im Bürgerbräukeller in München sagt Karl Ernst Krafft angeblich die Tat voraus und erregt damit das Aufsehen der Gestapo. Krafft wird verhört, kann aber glaubhaft machen, dass er mit dem Bombenattentat nichts zu tun hatte.

Zwei Männer betrachten eingestürztes Gebäude.
Legende: Der zerstörte Bürgerbräukeller – hier missglückte am 8. November 1939 das Bombenattentat des Schreiners Georg Elser auf Adolf Hitler. Keystone/Süddeutsche Zeitung

Karl Ernst Krafft erhält nach seiner «Attentats-Voraussage» eine Stelle in Joseph Goebbels Propaganda-Ministerium und erstellt vor allem prodeutsche Interpretationen der Prophezeiungen des Nostradamus. Die Briten reagieren darauf, indem sie selbst einen «Gegen-Astrologen» einsetzen. So entsteht der Mythos von Hitlers Hofastrologen.

Doch 1941 ändert sich für den Astrologen alles: Rudolf Hess, der Stellvertreter von Adolf Hitler, fliegt allein und ohne jemanden zu informieren nach Grossbritannien und will dort mit den Briten Friedensverhandlungen führen. Diese lehnen ab, Hess gerät in Kriegsgefangenschaft. Einige Theorien besagen, dass sich Rudolf Hess bei diesem Vorhaben von einem Astrologen hat beraten lassen. Nach Hess' Flug erlässt Joseph Goebbels ein Verbot aller esoterischen Praktiken. Krafft wird zusammen mit anderen Astrologen verhaftet.

Der Flug von Rudolf Hess und seine Folgen

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Gruppe Männer posieren mit Flugzeugwrack und deutscher Markierung.
Legende: Nazi-Führer Rudolf Hess fliegt 1941 nach Schottland. Sein Flugzeug zerschellte – und wurde zur Trophäe für alliierte Soldaten. Hess selbst sprang mit dem Fallschirm ab. KEYSTONE/AP/Str

Am 10. Mai 1941, um 18:10 Uhr, startet Rudolf Hess im Flugzeug des Typs Messerschmitt Me 110 vom Werksflugplatz der Messerschmidt AG in Haunstetten. Sein Ziel: Schottland. Er will dort eigenmächtig mit den Briten über einen Friedensschluss verhandeln. Doch es gibt keine Verhandlungen, Hess gerät in Kriegsgefangenschaft.

Bis heute ist nicht klar, was Rudolf Hess zu diesem Flug bewogen hat. Eine Theorie lautet: Hess liess sich ein persönliches Horoskop erstellen, das den 10. Mai 1941 als einen «erfolgversprechenden Tag für eine Reise im Interesse des Friedens» prophezeite.  

Die Parteiführung der NSDAP lässt in einer offiziellen Erklärung verlauten, dass Hess Opfer von Halluzinationen geworden sei. Gleichzeitig geht sie danach rigoros gegen Astrologen und Okkultistinnen vor.

Die sogenannte «Aktion gegen Geheimlehren und sogenannte Geheimwissenschaften» beginnt einen Monat nach dem Flug von Hess. Verhaftet werden Anthroposophen, Theosophen, Astrologen, Parapsychologinnen, Wahrsager, Wunderheilerinnen, Runenleser, Wünschelrutengänger und viele andere, die in irgendeiner Form Okkultismus praktizieren.

Diese Verhaftungswelle ist bisher kaum wissenschaftlich aufgearbeitet. So gibt es über die Anzahl Opfer keine verlässlichen Angaben. Schätzungen gehen von etwa 300 bis 1000 Verhafteten aus.

Trotzdem muss der Basler auch in Haft astrologische Analysen für das Propaganda-Ministerium erstellen, verweigert aber später die Mitarbeit und erkrankt an Typhus. Schliesslich wird er ins KZ Sachsenhausen gebracht. Nach einem Transport ins KZ Buchenwald stirbt Karl Ernst Krafft am 8. Januar 1944.

Fritz Dasen – der Kriegsgefangeneninspektor

Es gab aber auch Schweizer, die sich im Dritten Reich für Kriegsgefangene einsetzten: Während des Zweiten Weltkriegs übernahm die Schweiz als Schutzmacht diplomatische Aufgaben für 43 Staaten – darunter fällt auch die Kontrolle von Kriegsgefangenenlagern. Einer der Schweizer Inspektoren war Fritz Dasen aus Burgdorf.

1944 reist Fritz Dasen im Auftrag der Abteilung für fremde Interessen in das zerbombte Nazi-Deutschland, um Lager mit britischen und amerikanischen Gefangenen zu überprüfen. In einem weissen Wagen mit Schweizer Fahne besucht er im letzten Kriegswinter Dutzende solcher Lager, aber auch Lazarette, Gefängnisse und Arbeitskommandos in ganz Deutschland.

Dabei setzt Dasen auch sein eigenes Leben aufs Spiel: Während seiner Inspektionsreisen gibt es immer wieder Fliegeralarm. Er, sein Chauffeur und sein Sekretär müssen oft in Luftschutzräume flüchten.

Die Schweiz als Schutzmacht

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Eine Schutzmacht ist ein neutraler Staat, der im Auftrag eines anderen Staates dessen diplomatische und/oder konsularische Interessen im Hoheitsgebiet eines dritten Staates wahrnimmt.

Die Schweiz trat als Schutzmacht erstmals im 19. Jahrhundert auf: Sie nahm im Deutsch-Französischen Krieg 1870–1871 in Frankreich die Interessen des Königreichs Bayern und des Grossherzogtums Baden wahr. Auch im Ersten Weltkrieg hatte sie Schutzmandate inne.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Schweiz dank ihrer Neutralität zur Schutzmacht «par excellence»: Sie vertrat die Interessen von 43 Staaten mit über 200 Einzelmandaten – darunter auch für die Grossmächte.

Während im Ersten Weltkrieg noch 17 Personen zuständig waren, wächst die Zahl der Mitarbeitenden in Bern auf mehr als 150 Funktionäre. Ausserdem sind mehr als 1000 Personen im Ausland beschäftigt.

In den Lagern kontrolliert Fritz Dasen die Küchen, Aborte, Schlafräume und Krankenstationen und spricht mit den Kriegsgefangenen – es geht um mehr Nahrung, bessere Kleidung oder medizinische Hilfe. Häufig aber auch um Kleinigkeiten wie den Erhalt von Zigaretten oder die Erlaubnis, sich mit den anderen Gefangenen in englischer Sprache auszutauschen. Mit diplomatischem Geschick erreicht Dasen bei den deutschen Lagerkommandanten immer wieder Verbesserungen.

Männer in Mänteln entlang eines Zauns.
Legende: Gegen Ende des Krieges hatte sich die Situation der Kriegsgefangenen in Deutschland deutlich verschlechtert. Diesen Angehörigen der britischen Armee ist die Erleichterung nach ihrer Befreiung im Mai 1945 anzusehen. Getty Images/Fred Ramage/Keystone/Hulton Archive

Doch in den letzten Kriegsmonaten verschärfen Bombenangriffe die Lage dramatisch. Die Kriegsgefangenen leiden an Hunger, es kommt zu Misshandlungen und auf langen Evakuierungsmärschen sterben oder erkranken viele Soldaten der Alliierten. Fritz Dasen bleibt da häufig nur die Ohnmacht und eine Meldung an seine Vorgesetzten.

Trotz wachsender Gefahr bleibt Fritz Dasen bis kurz vor Kriegsende im Einsatz. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz im April 1945 kommt er schnell wieder in seinem beschaulichen Leben an. Er wird Kaufmann in einem bekannten Berner Teppichgeschäft und richtet in dessen Auftrag Hotels am Genfersee ein. Aber auch noch Jahre nach dem Krieg erhält Dasen Dankesbriefe ehemaliger Kriegsgefangener – und einen silbernen Teller der USA als Anerkennung für seine Dienste.

Nach seiner Rückkehr schreibt er einen 31-seitigen Bericht über seine Erlebnisse. Seine Aufzeichnungen zeigen einerseits menschliche Nähe und Mitgefühl, andererseits die Grenzen diplomatischer Einflussnahme in einem zusammenbrechenden Regime. Der Bericht wird als streng vertraulich klassifiziert. Erst Jahrzehnte später wird er durch Zufall wiederentdeckt und darf nun nach Ablauf der 50-jährigen Schutzfrist öffentlich eingesehen werden.

SRF 4 News, Geschichte, 1.11.2025, 13:03 Uhr.

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