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Soziale Schichten «Klassismus wird weitgehend akzeptiert»

In seinem neuen Buch widmet sich der Philosoph Hanno Sauer den sichtbaren und unsichtbaren Merkmalen von Klassenzugehörigkeit. An Signalen erkennen wir, mit wem wir es zu tun haben. Viele Kriterien und Merkmale gelten kulturübergreifend, wie Hanno Sauer erklärt.

Hanno Sauer

Philosoph und Autor

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Hanno Sauer, geb. 1983, lehrt seit 2016 Ethik an der Universität Utrecht (Niederlande). Er studierte Philosophie an der Philipps-Universität Marburg und der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Er hat zahlreiche Fachaufsätze und wissenschaftliche Bücher verfasst. Sein Buch «Moral. Die Erfindung von Gut und Böse» war 2023 für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert. Er lebt in Düsseldorf.

Foto: Elisa Prodöhl

SRF: «Soziale Segregation kommt zuerst», schreiben Sie. Weshalb ist Klasse ein wichtigerer Unterscheidungs- und Diskriminierungsfaktor als etwa Geschlecht oder Hautfarbe?

Hanno Sauer: Klassismus ist moralisch und politisch der fundamentalere Begriff. Wir interessieren uns ja auch für Diskriminierungsformen wie Rassismus oder Sexismus vor allem insofern, als sie sozioökonomische Nachteile mit sich bringen.

Relativ unbekümmert wird von einem ‹Assi-Viertel› gesprochen. Eine analoge ethnische Bezeichnung zu benutzen, wäre völlig undenkbar.

Klasse erzeugt auch psychologisch stärkere Vorurteile als andere Formen der Diskriminierung. Hautfarbe zum Beispiel beeinflusst die Beurteilung von Personen weniger, als wie eine Person gekleidet ist und welche sozioökonomischen Marker sie vorweisen kann.

Klassismus sei – anders als etwa Sexismus und Rassismus – «sozial akzeptabel». Woran machen Sie das fest?

Wenn man an einem Thema arbeitet, schärft das das Gehör dafür, wie Menschen darüber sprechen. Da schleichen sich auch abwertende Begriffe ein, relativ unbekümmert wird von einem ‹Assi-Viertel› gesprochen. Eine analoge ethnische Bezeichnung zu benutzen, wäre völlig undenkbar. Man würde Empörung ernten, was natürlich auch richtig ist.

Sie nennen auch Klassenvorurteile in der Populärkultur …

In der Verfilmung von «Der Herr der Ringe» sprechen die Guten, die Hobbits, die Elben und die Menschen, mit einem Upperclass-Akzent. Die brutalen Orks dagegen mit einem Ostlondoner oder nordenglischen. Das ist stark klassenspezifisch markiert, interessiert aber keinen Menschen. Klassismus wird weitgehend akzeptiert.

Sie schreiben, dass Klassen früh in der Menschheitsgeschichte entstanden sind. Damit wir kooperationsfähige und -willige Mitmenschen erkennen konnten.

Ja, aber stabile soziale Schichten, die sich von Generation zu Generation weitergeben, entwickelten sich erst nach der neolithischen Revolution vor etwa 12’000 Jahren. Man musste erstmal einen gewissen Reichtum akkumulieren.

Eine klassenlose Gesellschaft kann es nicht geben.

Dann konnten Gruppen darüber streiten, wer wie viel davon kriegt. So ist soziale, ökonomische und politische Ungleichheit entstanden – und eine Klassenstruktur. Mit der leben wir immer noch.

Und weil diese Strukturen so alt sind, ist es fast unmöglich, Klassenzugehörigkeit aus den Köpfen zu verbannen?

So ist es. Weil es Prestige und Hierarchien immer gab, haben sie einen tiefen Einfluss auf uns. Meines Erachtens kann es deshalb eine klassenlose Gesellschaft nicht geben. Damit müssen wir uns ein bisschen versöhnen – und nachdenken, wie wir damit umgehen.

Aufschlussreich in Ihrem Buch ist, wer welchen Faktor für die Klassenzugehörigkeit für bestimmend hält: Für die Unterschicht ist es Geld, für die Mittelschicht Bildung. Bei der Oberschicht kommt der individuelle Habitus ins Spiel, der auch Geschmack, Kulturkonsum oder die Feriendestination einschliesst. Ein kompliziertes Codesystem?

Ja. Hobbys wie Jagen, Reiten und Segeln sind übrigens auch wichtig. Es geht um Lebensstilfaktoren, ästhetische Präferenzen, Geschmack und kulturelle Versiertheit. Geld ist nicht irrelevant.

Aber je nachdem, wie es erworben wurde, hat es keine Konsequenzen für die Statushierarchie. Geld und Wohlstand tragen nur zur Position in der Gesellschaft bei, wenn sie durch besondere Leistungen oder durch Erbschaft entstanden sind.

Das Gespräch führte Raphael Zehnder.

Buchhinweis

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Hanno Sauer: «Klasse. Die Entstehung von oben und unten». Piper, 2025.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 22.9.2025, 7:06 Uhr ; 

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