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Ungleichheit in der Welt Werden Reiche immer reicher und Arme immer ärmer?

Laut einer neuen Studie geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Ein Ökonom ordnet die Ergebnisse ein.

Die meisten Menschen auf der Welt haben zuletzt harte Zeiten erlebt. Die Reichen dagegen sind laut Oxfam die grossen Gewinner der Krisenjahre: Zum Start des WEF in Davos hat die Entwicklungsorganisation einen Bericht zur Ungleichheit auf der Welt veröffentlicht. Das Verdikt: Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander.

Demnach haben die fünf reichsten Menschen der Welt – allesamt Männer – ihr Vermögen seit 2020 mehr als verdoppelt. Gleichzeitig wurden fast fünf Milliarden Menschen, die ärmsten 60 Prozent, noch ärmer.

Oxfam fordert Steuererhöhungen für Reiche

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Demonstration vor dem Auftakt des WEF.
Legende: Demonstration in Davos vor dem Auftakt des WEF. Keystone/LAURENT GILLIERON

Der Vermögenszuwachs der Reichen passiere auf dem Buckel der Armen, kritisiert Oxfam. Oft seien Reiche schlechte Arbeitgeber und zahlten ihren Angestellten schlechte Löhne bei schlechten Arbeitsbedingungen.

Oxfam sieht die Gesellschaft vor einer immer grösseren Zerreissprobe – und fordert daher höhere Steuern für Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen sowie Unternehmen. Die Mittel daraus müssten in den Klimaschutz, den Ausbau von Bildung, Gesundheitsversorgung und sozialer Sicherung investiert werden.

Vor Beginn des WEF forderten auch mehrere Hundert Demonstranten und Demonstrantinnen höhere Steuern für Reiche. Sie verlangten von Wirtschaftsbossen und Politik zudem mehr Einsatz für Klimaschutz und wandten sich gegen Kapitalismus.

Die Reichen werden also immer reicher. Aber werden die Armen deswegen automatisch ärmer? Reto Föllmi, Volkswirtschaftsprofessor an der Universität St. Gallen (HSG), verneint: «In den letzten dreissig, vierzig Jahren hat die weltweite Armut deutlich abgenommen.» Demnach lebte in den 1980ern noch ein Drittel der Weltbevölkerung in extremer Armut. Heute liegt dieser Anteil unter zehn Prozent.

Die Schere und der Kuchen

Werden also alle immer «reicher»? Für Länder Südostasiens und auch China kann der Ökonom dies bestätigen: «Sie haben deutlich aufgeholt und der Wohlstand von breiten Schichten ist gewachsen.» Heisst: Die Schere zwischen Arm und Reich geht zwar auseinander – aber insgesamt wurde auch der Kuchen grösser.

Elon Musk, laut «Forbes» der derzeit reichste Mensch der Welt.
Legende: Die fünf reichsten Männer haben den Oxfam-Daten zufolge seit 2020 einen Gewinn von durchschnittlich 14 Millionen US-Dollar pro Stunde gemacht. Ihr Vermögen stieg von 405 Milliarden Dollar im Jahr 2020 auf zuletzt 869 Milliarden Dollar. Bild: Elon Musk, laut «Forbes» der derzeit reichste Mensch der Welt. Keystone/DPA/PATRICK PLEUL

Zwar habe das Einkommen der Reichsten in den einzelnen Ländern deutlich stärker zugenommen als das Einkommen des Mittelstands, sagt Föllmi. «Gleichzeitig sind in vielen ärmeren Ländern grosse Schichten in den Mittelstand vorgedrungen und haben die extreme Armut verlassen können.»

In Afrika herrscht weiter grosse Armut

Auch ärmere Schichten profitieren also vom Wachstum des Wohlstands in der Welt. Oxfam geht das allerdings viel zu langsam: Bei ihrer Auswertung kommt die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation zum Schluss, dass die Welt bei der aktuellen Wachstumsrate schon in zehn Jahren ihren ersten Dollar-Billionär haben könnte. Die globale Armut dagegen wäre auch in 230 Jahren noch nicht vollständig überwunden.

Und auch wenn es weltweit weniger Armut gibt: Nicht allen Menschen geht es besser – und vor allem nicht überall. «Vor allem in Asien ist die Abnahme der Armut zwar besonders signifikant. In Afrika verharrt aber leider weiterhin ein Grossteil der Bevölkerung in extremer Armut», so Ökonom Föllmi, der sich mit Ungleichheit und Vermögensverteilung beschäftigt.

Schweiz als «Hort der Stabilität»

Und wie sieht die Situation in der Schweiz aus? Wie so oft sei die Schweiz auch mit Blick auf die Verteilung des Wohlstands ein Hort der Stabilität, sagt Föllmi. «Doch auch in der Schweiz sieht man, dass die Top-Einkommen in jüngster Zeit stärker zunehmen als der Durchschnitt.» Insgesamt seien die Reallöhne in den letzten Jahrzehnten aber auf breiter Front gestiegen.

Vermögensschere geht in Schweiz weit auf

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Im Vergleich mit anderen Ländern geht die Vermögensschere in der Schweiz weiter auf, erklärt HSG-Ökonom Reto Föllmi. Dies liege unter anderem daran, dass die Schweiz attraktiv für sehr wohlhabende Personen sei: «Wir haben einen ausgebauten Finanzsektor, die Schweiz ist für ihre Diskretion und die schönen Landschaften bekannt und hat eine gute Anbindung an die ganze Welt», so Föllmi. Dies ziehe Vermögende aus aller Welt an. Sie würden allerdings auch wieder Steuern zahlen, was der Allgemeinheit zugutekomme.

Doch auch wenn die Löhne steigen: Das Leben wird teurer, die Mieten steigen ebenso wie die Krankenkassenprämien und die Pandemie wirkt noch immer nach. «Die Coronazeit ist in meiner Erinnerung allerdings die erste Wirtschaftskrise, in der die tieferen Einkommen nicht gegenüber den hohen Einkommen verloren haben», sagt Föllmi.

Schutzmaske auf dem Boden
Legende: Normalerweise würden die tiefen Einkommen in einer Rezession stärker leiden, sagt HSG-Ökonom Föllmi. Denn sie sind viel stärker von Arbeitslosigkeit betroffen. Aufgrund der staatlichen Unterstützungsmassnahmen sei diese aber während der Pandemie kaum gestiegen, so HSG-Ökonom Föllmi. Keystone/CHRISTOF SCHUERPF

Die Teuerung schlage aber tatsächlich bei vielen Menschen stark ein, schliesst Föllmi. «Doch mit einer gewissen Verzögerung steigen auch die Löhne wieder an.» Und auch die Inflation komme und gehe. Der Ökonom rechnet denn auch nicht damit, dass wir dauerhaft ärmer werden.

SRF 4 News, 15.01.2024, 17:15 Uhr ; 

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