Das heilige Gemetzel beginnt im Veltlin im heutigen Italien. Im Jahr 1620 bringen dort Katholiken Hunderte Protestanten um. Wegen ihrer Konfession. Verfolgung und Vertreibung greifen auf das benachbarte Valposchiavo über.
Auch hier werden Protestanten gejagt und getötet. Heute noch fällt im Gespräch mit Reformierten im Valposchiavo bald einmal das Stichwort «Sacro macello», der Veltliner Mord. Das Massaker wirkt während Jahrhunderten nach.
Protestanten provozieren
Es ist die Zeit des Dreissigjährigen Kriegs in Europa. Gekämpft wird um die Macht und die strategisch wichtigen Alpenpässe in der Gegend. Gestritten wird auch um die wahre Religion, um die richtige Konfession.
Dem Gemetzel gehen Provokationen auf reformierter Seite voraus. In Thusis wird der katholische Priester Nicolò Rusca von Protestanten der Ketzerei bezichtigt und zu Tode gefoltert. Erst vor kurzem, im Jahr 2013 hat Papst Franziskus den Schweizer Rusca seliggesprochen. Für Bündner Reformierte ein schwer nachvollziehbarer Akt.
Eiszeit der Konfessionen
Nach den Ereignissen im Dreissigjährigen Krieg schotten sich die Reformierten und die Katholiken im Valposchiavo weitgehend voneinander ab. Sie leben in getrennten Welten.
Öffentliche Ämter werden gemäss dem Bevölkerungsanteil im Verhältnis 2:1 zwischen Katholiken und Protestanten aufgeteilt. Man ärgert sich gegenseitig, missachtet demonstrativ die Feiertage der anderen Konfession. Heiraten über die Grenzen der Konfession hinweg sind verpönt. Die öffentlichen Schulen bleiben bis 1968 nach Konfessionen getrennt, die Kindergärten bis 1990.
Umkämpfte Täler
Heute sind rund zehn Prozent der Bevölkerung im Valposchiavo reformiert. Das Tal liegt im Kanton Graubünden und ist gleichzeitig nach Italien orientiert. Auch dies hat historische Gründe. Chur und Como, später Mailand, kämpfen schon immer um die Vorherrschaft über das Valposchiavo und das Veltlin.
Im 15. Jahrhundert treten die Puschlaver dem Gotteshausbund bei. Dieser wird zusammen mit dem Grauen Bund und dem Zehngerichtebund 1471 zu den Drei Bünden und somit Teil der alten Eidgenossenschaft. Auch das Veltlin, das beinahe 300 Jahre lang ein Untertanengebiet der Drei Bünde ist, gehört faktisch dazu.
Im Puschlav, wie das Valposchiavo im Norden genannt wird, spricht man Italienisch. Doch den deutschen Namen «Puschlav» hört man im Tal nicht gerne, denn Deutsch ist hier die Sprache der Minderheit. Die Reformierten gehören damit einer doppelten Minderheit an: sprachlich und religiös.
Sinnsuche statt Glaubenskriege
Das Vecchio Monastero im Hauptort Poschiavo wird in der Zeit der schärfsten Konfrontation zwischen den Konfessionen im 17. Jahrhundert gebaut. Mit seinen uralten, dicken Mauern, dunkelgelb gestrichen, wirkt es wie ein katholisches Bollwerk gegen die Protestanten.
Heute beherbergt es ein Zentrum für Spiritualität, Ökumene und Kultur. Die Schwestern vom Orden der Augustinerinnen lesen die Zeichen der Zeit.
In ihrem Kloster bieten sie Leuten, die nach dem Sinn des Lebens suchen, eine Oase der Ruhe. Menschen, die nicht religiös sein wollen, finden hier eine Zufluchtsstätte auf Zeit. Sie können durchatmen, meditieren, spirituelle Impulse aufnehmen.
Die Konfessionskriege sind längst vorbei. Reformierte und Katholiken ziehen heute im Valposchiavo an einem Strang. Die Erinnerungen an die düsteren Zeiten allerdings sind im Tal noch nicht verblasst. Die Menschen aber gehen ihre eigenen Wege, spirituelle oder andere.