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Stanislaw Petrow ist tot Er hat einen Atomkrieg verhindert

Raketenangriff? Fehlalarm! Stanislaw Petrows Zivilcourage rettete die Welt. Erst jetzt wurde bekannt, dass der frühere Sowjet-Offizier im Mai gestorben ist. Nachruf auf einen bescheidenen grossen Mann.

Die Sternstunde seines Lebens hatte der sowjetische Offizier Stanislav Petrov am 26. September 1983. Es ist kurz nach Mitternacht. Alles ist ruhig in Serpuchov 15, einer streng geheimen Anlage der sowjetischen Armee südlich von Moskau.

Mut zur eigenen Position

Es ist die Zeit des Kalten Kriegs und des atomaren Wettrüstens. Serpuchov 15 ist ein Frühwarnzentrum für feindliche Angriffe mit Atomraketen, ausgerüstet mit damals modernster Computer- und Satellitentechnik.

Der im Mai verstorbene Stanislaw Petrow ist in jener Nacht der diensthabende Chef. Er ist damals 44-jährig, Oberstleutnant. Er sei eine aussergewöhnliche Persönlichkeit gewesen, sagt die deutsche Journalistin Ingeborg Jacobs, die Stanislaw Petrow persönlich gekannt hat und über ihn vor zwei Jahren ein Sachbuch veröffentlicht hat.

Diese Charaktereigenschaft, den Mut zu einer eigenen Position zu haben, wird dem Mann in jener Nacht helfen, die Welt nicht weniger als vor dem nuklearen Untergang zu retten.

Einsame Entscheidung

Es ist 00:15 Uhr, als im Kontrollraum von Serpuchov 15 plötzlich eine schrille Sirene aufheult. Die USA haben eine Interkontinentalrakete gestartet, Ziel Sowjetunion. Vermutete Einschlagzeit: 30 Minuten. Ziel: Grossraum Moskau.

Buchhinweis

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Ingeborg Jacobs: «Stanislaw Petrow. Der Mann, der den Atomkrieg verhinderte.» Westend Verlag, 2015.

Erneut schrillt die Sirene. Das System meldet einen zweiten Angriff, dann einen dritten, einen vierten, einen fünften. Petrow zögert. Die Bildschirme des Überwachungszentrums bleiben trotz des mehrfachen Alarms schwarz.

Sie müssten jetzt aber die Raketen anzeigen, die im Anflug sind. Auch würden die Amerikaner bei einem Angriff doch nicht nur fünf Raketen abschiessen, sondern hundert. Was zum Teufel geht hier vor? Stanislaw Petrov weiss es nicht. Und er fällt eine einsame Entscheidung.

Ein enormes Risiko

Petrow verheimlicht den Alarm. Er lässt jene Stellen im Politbüro im Unwissen, die in dieser Situation mit ziemlicher Sicherheit den Gegenschlag befehlen würden. Stanislaw Petrov stellt sich gegen die Maschine.

Das habe für den Mann ein enormes Risiko bedeutet und ihm unglaublichen Mut abverlangt, sagt Ingeborg Jacobs. Aber gerade dadurch habe er den Weltfrieden gerettet, der an einem seidenen Faden hing.

Offene Fragen

Der Nachgang der Beinahe-Katastrophe verläuft typisch sowjetisch. Es gibt zwar eine Untersuchungskommission. Aber der Bericht über den Grund der dramatischen Computerpanne bleibt Staatsgeheimnis.

Hat sich das Satelliten-System von Sonnenstrahlen täuschen lassen? Oder, was wahrscheinlicher ist: Haben die sowjetischen Ingenieure geschlampt, die das System aufgebaut haben? Wir wissen es bis heute nicht.

Die Nomenklatura vertuscht Stanislaw Petrovs Leistung. Erst nach der Wende erhält er eine gewisse Anerkennung. Er, den jede Heldenverehrung stets peinlich angerührt hat und der bis zu seinem Tod betonte, er habe in jener Nacht «nur seine Arbeit gut gemacht».

Seine letzten Jahre hat Stanislaw Petrov in einem Vorort von Moskau verbracht - gezeichnet von Armut, Krankheit und Einsamkeit.

Sendung: Radio SRF 1, Echo der Zeit, 19.9.2017, 18:00 Uhr

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