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Unesco besorgt um Prag
Aus Kultur-Aktualität vom 15.10.2018.
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Streit um Prager Altstadt «Sie machen die Silhouette unserer Stadt kaputt»

Die Unesco erwägt, Prag von der Weltkulturerbe-Liste zu streichen. Der Grund: die vielen Hochhaus-Projekte der Stadt.

Der Blick vom obersten Stockwerk muss faszinierend sein: 110 Meter ragt das Hochhaus in den Prager Himmel. Von weitem sieht es aus wie ein gewaltiges V.

Josef Štulc seufzt nur schwer, wenn er daran denkt. «Das macht die einmalige Silhouette unserer Stadt unwiederbringlich kaputt», so Štulc vom tschechischem Denkmalschutz.

Unesco schreitet ein

Dass die Stadt Prag grosszügig mit den Genehmigungen für Hochhäuser umgeht, könnte jetzt empfindliche Konsequenzen haben: Die Unesco hat einen Brandbrief geschrieben, in dem sie damit droht, die Stadt von der Liste ihrer Weltkulturerbe-Stätten zu streichen. Man sei «zutiefst beunruhigt», heisst es darin.

Der Brief ist als Mahnung gedacht, denn im Prager Rathaus stapeln sich gerade die Anträge für weitere Hochhäuser.

Vom Aufschrei der Unesco-Experten gibt sich die Oberbürgermeisterin Adriana Krnáčová demonstrativ unbeeindruckt: «Ich halte das für nichts Dramatisches», sagte sie unlängst im tschechischen Fernsehen: «Prag ist kein Freilichtmuseum.»

Historische Prachtbauten am Moldau-Ufer.
Legende: Die historischen Prachtbauten am Moldau-Ufer stehen im starken Kontrast zur modernen Skyline im Hintergrund. Imago/Westend61

Bewahren oder modernisieren?

Die Denkmalschützer kennen diese Argumente zur Genüge. «Natürlich entwickelt sich die Stadt weiter und natürlich ist moderne Architektur notwendig», sagt Josef Štulc.

Aber es sei wichtig, dass sie sich in die architektonischen Werte einfüge, die Prag seit Jahrhunderten pflege. «Und die wir auch den weiteren Generationen übergeben sollten.»

Ein Mann vor einem Mikrofon
Legende: Denkmalschützer Josef Štulc hat wenig Verständnis für den Bauboom im Prager Zentrum. Jan Sommer

Die Debatte über die Modernisierung findet er «ermüdend», weil sie sich in stets ähnlicher Weise wiederholt: Mal geht es um Zufahrten zu Tiefgaragen im historischen Zentrum, dann wieder um den Abriss eines denkmalgeschützten Hauses am berühmten Wenzelsplatz.

Von der Unesco-Liste gestrichen

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Es ist keine leere Drohung der Unesco, Prag den Weltkulturerbe-Status abzusprechen. In der Geschichte der Unesco wurden bisher zwei Weltkulturerbe-Stätten von der Liste gestrichen.

Die erste Entscheidung betraf das Wildschutzgebiet der Arabischen Oryx in Oman. Es wurde 2007 gestrichen, nachdem das Reservat um 90 Prozent verkleinert worden war, um dort Öl zu fördern.

Die zweite gestrichene Stätte ist die Kulturlandschaft Dresdner Elbtal, die 2006 wegen der Planungen zum Bau der Waldschlösschenbrücke auf die Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt worden war. Im Jahr 2009 wurde der Titel wegen des begonnenen Baus aberkannt.

Inzwischen hat sich auch das tschechische Kulturministerium in den Streit eingeschaltet. Formal ist es nicht zuständig: Baugenehmigungen und Denkmalschutzprojekte obliegen der Stadtverwaltung in Prag.

«Dieser Streit ist sehr unglücklich, gerade für uns in Europa», sagt Dita Limova, die beim Kulturministerium für die Kontakte mit der Unesco verantwortlich ist.

«Eigentlich müssten wir den weniger entwickelten Ländern als Beispiel dienen, wie man sich um seine Denkmäler kümmert und dem Druck von Immobilienentwicklern standhält.»

Plattenbauten statt historischer Gebäude

Josef Štulc, der sich schon seit rund 40 Jahren für den Denkmalschutz engagiert, zieht eine Parallele, die bis in den Kommunismus reicht. «Damals war die Bedrohung für die Altstadt auch real, aber sie kam von anderer Seite», erinnert er sich.

Eine Siedlung von grauen Plattenbauten
Legende: Das war die Vision der kommunistischen Architekten: Plattenbauten, wie etwa in dieser Siedlung in Liberec. Imago/Hans Blossey

Die Machthaber wollten damals moderne Plattenbauten errichten. Sie konzentrierten sich dabei vor allem auf das Umland, wo die damals allgegenwärtigen Satellitenstädte entstanden.

Aber es gab auch Pläne dafür, ganze historische Viertel im Zentrum abzureissen, weil die jahrhundertealten Häuser damals vernachlässigt und baufällig waren.

Stattdessen sollten auch im Zentrum Plattenbauten entstehen. «Das war ein Alptraum», sagt Josef Štulc. Zum Glück sei diese Debatte längst vom Tisch – aber die Hochhäuser von heute seien so etwas wie eine Fortsetzung dieser düsteren Visionen für die Stadt.

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