Dass unsere Gesellschaft ein Problem mit dicken Menschen hat – Roxane Gay spürt es täglich. In ihren Büchern «Hunger» und «Bad Feminist» beschäftigt sich die Feministin mit der Frage, wie übergewichtige Frauen in den Medien dargestellt werden. Und wie ist es mit den Männern? Ein Gespräch über die Kraft des «body-positiven» Denkens – und ihre Grenzen.
SRF: Sie erwähnen in ihrem Buch die amerikanische Reality-Show «The Biggest Loser», bei der Teilnehmende möglichst schnell viel abnehmen. Warum sind solche Formate so erfolgreich?
Roxane Gay: Es hat etwas Befriedigendes, jemandem dabei zuzuschauen, wie er oder sie Gewicht verliert. Dann sieht man die Vorher/Nachher-Bilder und staunt, wie gut sie auf den Nachher-Bildern aussehen.
Wir müssen erkennen, dass man dick und gleichzeitig wertvoll, schön und gesund sein kann.
Was ist daran problematisch?
Dass wir den dicken Körper als Problem betrachten, das gelöst werden muss. Wir denken, die Veränderung des Körpers ist das Grossartige und nicht, dass sie auch mit mehr Gewicht gut aussehen könnten.
Was ist die Folge?
Wenn wir so denken, begeben wir uns in ein verheerendes kulturelles Narrativ über Körper und wie Körper auszusehen haben. Wir müssen erkennen, dass man dick und gleichzeitig wertvoll, schön und gesund sein kann.
Bei solchen Shows wird argumentiert, dass dicke Menschen ungesund seien und man den Leuten zu einem gesunden Lifestyle verhelfe.
«The Biggest Loser» zeigt eben keinen gesunden Gewichtsverlust. Bei rund drei Viertel der Teilnehmer nimmt das Gewicht nach der Sendung wieder zu. Niemand kann im Alltag sieben Stunden trainieren. Die meisten von uns arbeiten, haben ein Leben.
Auch ich würde viel Gewicht verlieren, wenn Sie mich für sechs Monate auf eine Ranch schicken würden, wo ich den ganzen Tag trainiere und beobachtet wird, was ich esse.
Aber wie lässt sich das Gewicht danach halten? Ich wünsche mir, dass solche Shows realistischere Porträts zeichnen würden.
Inwiefern ist es anders, eine dicke Frau zu sein, als ein dicker Mann?
Als dicke Frau gilt man schnell als «unfuckable». Du bist nicht schön, du bist hässlich, du wirst nicht begehrt, du wirst abgewiesen. Du siehst nicht aus, wie wir entscheiden, dass Frauen auszusehen haben, um als gutaussehend zu gelten.
In Fernsehsendungen gibt es häufig den einen dicken Typen, der eine dünne, gutaussehende Frau hat.
Und als Mann?
Für Männer gibt es mehr Spielraum. Vielfach werden sie wohlwollend angesprochen, man ist charmant zu ihnen. Das heisst nicht, dass dicke Männer keine Probleme haben, auch sie müssen mit Vorurteilen umgehen. Aber sie haben eher die Erlaubnis, dick zu sein.
In Fernsehsendungen gibt es häufig den einen dicken Typen, der eine dünne, gutaussehende Frau hat. Auch im echten Leben begegnen wir solchen Paaren. Umgekehrt ist das weniger der Fall.
Würden Sie sich selbst als «body positive» bezeichnen?
Ich glaube, es ist ein wichtiges und notwendiges Korrektiv. Ich würde gerne daran glauben, dass ich «body» oder «fat positive» bin. Aber ich habe mich vor ein paar Jahren einer chirurgischen Gewichtsreduktion unterzogen. Das ist kein Eingriff, den Body-Positivisten unterstützen.
Sie verlangen, dass man sich genau so lieben soll, wie man ist. Aber es ist schwierig, sich selbst zu lieben in einer Welt, in der einem ständig gesagt wird, dass du hässlich und ungesund bist und dass du bald sterben wirst.
Ich glaube an «body positivity», aber auch ich bin empfindlich. Wie jeder andere auch.
Das Gespräch führte Salomé Meier.