Wegen Corona schrumpft das Leben seit einigen Monaten auf die eigenen vier Wände zusammen. Besonders der Lockdown im Frühjahr hielt eine Menge Konfliktpotenzial für Familien bereit – davon sind viele jedenfalls ausgegangen. Dass dem häufig aber gar nicht so war, zeigt nun eine aktuelle Studie der Hochschule Luzern.
Studienleiterin und Psychologin Paula Krüger, die an der Hochschule Luzern zu häuslicher Gewalt forscht, über die harmonische Lockdown-Stimmung in Schweizer Familien – und den Einbruch danach.
SRF: Die Mehrheit der Menschen, die Sie befragt haben, sagen, dass sie die Zeit im Lockdown eher harmonisch erlebten. Studien aus Nachbarländern deuten aber auf das Gegenteil hin. Hat Sie das überrascht?
Paula Krüger: Es geht so – was aber vor allem an den Ergebnissen vorangegangener Studien liegt. Diese, etwa die des SRG-Monitors , haben ja bereits gezeigt, dass die Menschen während des Lockdowns ein Stück weit zusammengerückt sind. Das betrifft zwar sicherlich nicht alle. Aber wenn man sich den Durchschnitt der Bevölkerung anschaut, scheint es so zu sein.
Bei rund einem Viertel der Befragten kam es in beiden von uns untersuchten Zeiträumen zu Reibereien.
Ihre Studie zeigt aber auch, dass die Konflikte nach dem Lockdown zugenommen haben. Wie erklären Sie sich das?
Unsere Annahme ist, dass die lange Dauer der Pandemie eine Rolle spielt. Das nicht absehbare Ende, das an den Nerven der Bevölkerung zu nagen scheint, schafft eben auch den Nährboden für Konflikte innerhalb der Familien. Bei rund einem Viertel der Befragten kam es in den beiden von uns untersuchten Zeiträumen zu Reibereien.
Also ist gar nicht der partielle Lockdown so entscheidend für die Entstehung von Konflikten, sondern eher die Länge der Corona-Massnahmen.
Es ist schwierig das abschliessend sagen zu können. Wir haben uns die Zeit vor dem Lockdown nicht angeschaut. In unserer Befragung lag der Fokus darauf, wie die Familien das Klima in ihren Familien wahrgenommen haben – während des Lockdowns und innerhalb von vier Wochen im Sommer.
Familien, die einen Garten oder eine Terrasse haben, beschrieben ihr Familienleben während des Lockdowns als harmonischer.
Das Erstaunliche: Es hat sich gezeigt, dass der Sommer von den Befragten als unharmonischer und spannungsgeladener wahrgenommen wurde im Vergleich zum Lockdown.
Wie haben Sie die Spannungen in den Familien denn aufgedeckt?
Wir wollten etwa wissen, ob es innerhalb der Familie häufiger zu Reibereien gekommen ist und ob man sich mehr über Kleinigkeiten aufgeregt hat. Ausserdem haben wir gefragt, ob die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer auf die Sorgen und Nöte von anderen eingehen, weil das ein Marker für Harmonie sein kann.
Gibt es Familien, die eher zu Konflikten neigen?
Familien, die einen Garten oder eine Terrasse haben, beschrieben ihr Familienleben während des Lockdowns als harmonischer als solche ohne.
Was sich aber vor allem zeigt, ist, dass die Pandemie keine neuen Risikofaktoren erzeugt, sondern bei bekannten Faktoren ansetzt und verstärkend wirkt.
Es ist – unabhängig von der Pandemie – wichtig, dass man auf sich selbst und seine Angehörigen achtet.
Was hat noch zu Konflikten geführt?
Wir haben festgestellt, dass Familien mit finanziellen Schwierigkeiten häufig von Spannungen berichteten. Auch Familien, in denen die Eltern ihre Kinder, zumindest zum Teil, neben der Arbeit betreut haben, sind davon betroffen. Die Pflege älterer Angehöriger ist ein weiterer Faktor, der zu Belastungen und innerfamiliärer Gewalt führen kann.
Was kann man gegen die Konflikte und Spannungen tun?
Es ist – unabhängig von der Pandemie – wichtig, dass man auf sich selbst und seine Angehörigen achtet. Dass man sich, wenn man das kann, Freiräume schafft, in denen man auch mal zur Ruhe kommen kann.
Wenn diese Massnahmen nicht mehr ausreichen, kann man sich durchaus auch an Fachpersonen wenden. Wir haben in der Schweiz einige mögliche Anlaufstellen, bei denen man sich auch anonym melden kann.
Das Gespräch führte Adam Fehr.