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Taliban und Frauenrechte Widerstand gegen Schulverbot: Afghanistan hat dazugelernt

Die Taliban verbieten den Mädchen die Mittelschule – aber anders als vor 20 Jahren gibt es Proteste. Erklärungen eines Wissenschaftlers im Exil.

Enttäuschung, Beunruhigung und Tränen: So reagierten viele Mädchen auf die Nachricht, dass sie nicht mehr zum Unterricht dürfen, sagt Parwiz Mosamim. Er forscht über die Stellung der Frauen in Afghanistan und arbeitet seit kurzem an der Universität der italienischen Schweiz in Lugano.

Ein Schock

Mosamim hat drei Schwestern, die mit ihren Eltern in der afghanischen Stadt Herat leben. Eine davon würde eigentlich die siebte Klasse besuchen. Vor zwei Wochen hätte zum ersten Mal seit der Machtübernahme der Taliban im August der Unterricht wieder starten sollen.

Doch nach nur zwei Tagen sind die Schülerinnen nach Hause geschickt worden. Dass die älteren Mädchen weiterhin nicht zur Schule dürfen, sei ein Schock, sagt Parwiz Mosamim: «Bildung ist ein fundamentales Recht aller Menschen.»

Parwiz Mosamim

Doktorand

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Parwiz Mosamim ist Assistenzdoktorand am Institut für Kommunikation und öffentliche Politik mit Schwerpunkt öffentliche Verwaltung an der Università della Svizzera italiana im Tessin. Seine Forschung konzentriert sich auf die Repräsentation von Frauen in Entscheidungspositionen der öffentlichen Verwaltung am Beispiel Afghanistans.

Ausreden mit Hintergedanken

Die Begründung für die Schliessung – fehlende Schuluniformen und ein Mangel an Lehrerinnen – sei vorgeschoben. Tatsächlich wollten die Taliban die internationale Staatengemeinschaft mit diesem Schritt dazu bringen, ihre Regierung offiziell anzuerkennen: Anerkennung gegen Schule für alle. Aktuell ist das Taliban-Regime international politisch isoliert.

Afghanische Mädchen in der Schule.
Legende: Vor der Machtübernahme der Taliban: Mädchen in einem Gymnasium in Kabul im Jahr 2011. IMAGO / photothek

Afghaninnen leisten Widerstand

«Die Taliban haben wohl nicht mit der Reaktion der Afghaninnen und Afghanen gerechnet», sagt Mosamim. Das Land sei seit der ersten Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 ein anderes geworden: Viele Menschen – Frauen, Schülerinnen und auch Männer – demonstrierten trotz der Bedrohung durch die Taliban gegen die Schulschliessung.

Seit 2001 gingen neun Millionen Menschen zur Schule, rund 40 Prozent davon Mädchen. Und diese, sagt Parwiz Mosamim, hätten erkannt, wie wichtig Bildung ist. Viele Frauen haben bis zur erneuten Machtübernahme der Taliban Seite an Seite mit ihren Männern gearbeitet. Sie wollen für sich wieder Arbeit und für ihre Töchter eine Schulbildung.

Als die Taliban 1996 zum ersten Mal die Macht übernahmen, sei das ganz anders gewesen, sagt Mosamim. Es habe ein Bürgerkrieg geherrscht und die Menschen hätten nur eines gewollt: Frieden. Schule sei kein wichtiges Thema gewesen. Zumal auch vor 1996 nicht viele Mädchen zur Schule gegangen seien. 

Anerkennung der Taliban nur mit Zugang zu Bildung

Parwiz Mosamim hat die Stellung der Frauen in der afghanischen Verwaltung vor der erneuten Machtübernahme der Taliban untersucht. Landesweit sind 28 Prozent der Verwaltungsposten von Frauen bekleidet gewesen.

Aber viele in der Bevölkerung haben ihnen die Fähigkeit zu dieser Tätigkeit abgesprochen. Und viele dieser Frauen waren sexueller und anderer Gewalt ausgeliefert. Die Studie skizziert also eine Gesellschaft, die erst auf dem Weg zur Gleichberechtigung war.

Trotz der ermutigenden Proteste gegen die Schulschliessungen wagt Mosamim keine Prophezeiung, wie es nun weiter geht. Umso wichtiger sei es, dass die Staatengemeinschaft den Taliban klar mache: Ohne Schulbildung gibt es keine Anerkennung ihrer Regierung.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 1.4.2022, 17:20 Uhr

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