Das Wichtigste vorweg: Sprechen Sie nicht über Donald Trump, Brexit, die EU und die sogenannte «Masseneinwanderungsinitiative». Einfach nicht.
Ausser Sie sind sich hundertprozentig garantiert absolut totsicher, dass wirklich Einigkeit herrscht unter denen, die mit Ihnen «O du fröhliche» singen. Sonst werden die Köpfe rot, es wird laut und das Fest der Liebe ruiniert.
Mehr Nebel und Schnee
Vermeiden Sie also heikle Themen. Sprich: politische. Oder zu persönliche: Trennungen, Erziehungsfragen, Alkohol. Lenken Sie das Gespräch konsequent auf Unverfängliches. Die Kindheit eignet sich hervorragend.
Als das Agglomerationskaff noch ein Bauerndorf war. Als die Autos zwar schmutziger, aber schöner waren. Ah, der Opel Kadett von Tante H., der Ford Taunus von Onkel W. oder die Frisur des längst verstorbenen Nachbarn! Die Haare mit Brillantine quer über die Glatze gestrichen!
Ach, früher! Als es mehr Nebel und vor allem mehr Schnee gab. Wie die Mailänderli in der Küche der Grossmutter dufteten! Als der Hund den Christbaum umwarf und der Grossvater deswegen fast einen Anfall bekam! Und Onkel J., der auf dem Bau arbeitete und immer sofort einschlief, wenn er mal in der Wärme sitzen konnte.
Wie die Kerzen am Baum
Solche Sachen sind schön. Sie tun niemandem weh. Gemeinsame Erinnerungen spenden so viel Wärme wie die Kerzen am Baum. Warten Sie nicht ab, sondern besetzen Sie das Terrain mit solchen Geschichten.
Sie kennen ja das Temperament und die Einstellung von Cousin F. – bei politischen Themen kann er richtig in Fahrt kommen. Beugen Sie vor: Sie wissen, er interessiert sich für Skisport. Da bringen Sie präventiv Bernhard Russi, Marie-Theres Nadig und Roland Collombin ins Spiel.
Sapporo 1972. Auch eine schöne Kindheitserinnerung. Dann wird der Cousin von damals schwärmen, den aktuellen Skisport analysieren, und Sie machen dazu ein interessiertes Gesicht. Ab und zu nicken Sie und sagen: «Genau … stimmt … richtig». Dann erzählt er weiter und kommt gar nicht auf die heiklen Dinge. Nach einigen Minuten wenden Sie sich einer anderen Verwandten zu.
Beiträge zum Thema
Voller Mund
Springen Sie über Ihren Schatten. Fragen Sie nach Dingen, die Sie im Grunde kalt lassen. Warum sollten Sie nicht etwas über die Makramee-Eulensammlung von Cousin G. erfahren? Warum von Tante A. nicht Informationen zu ihren Sorgen mit dem Zweitwohnsitz im Tessin einziehen?
Gut, all das setzt gewisse Recherchen voraus. Fragen Sie sichere Gewährspersonen vorgängig über die Weihnachtsgäste aus. Falls Ihnen das zu grosse Mühe macht: Fragen Sie einfach alle, wie’s ihnen geht. Die einen sagen «gut, danke, und dir?» Dann antworten Sie: «Gut, danke».
Die anderen schildern ihr Befinden, bis das Essen auf dem Tisch steht. Und mit vollem Mund können sie nicht sprechen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 23.12.2016, 12:10 Uhr.