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Trans Frau und Muslimin Leyla Jagiella: «Nicht zugehörig sein ist meine Zugehörigkeit»

Die deutsche Religionswissenschaftlerin und Ethnologin Leyla Jagiella ist eine trans Frau – und Muslimin. Dass Glaube und Transidentität nicht im Widerspruch miteinander stehen müssen, hat sie bei einer Gemeinschaft in Indien und Pakistan gelernt.

Geboren wurde Leyla Jagiella in den 1980ern in einer deutschen Kleinstadt. Schon im Kindesalter begann sie sich für den Islam zu interessieren – als Teil einer Sinnsuche. Denn für die Probleme des transidenten Kindes hatte niemand Gehör.

«Es war wie in einem Gefängnis, dessen Mauern jeden Tag enger und enger wurden und mich zu erdrücken drohten», berichtet sie über ihre Kindheit. Nicht nur innerhalb der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch in der Moschee, in die sie mit 14 Jahren regelmässig ging, wurde ihr implizit vermittelt, dass etwas nicht richtig sein könne.

Im Kerker der Normen

Hinzu kam die Geschlechtertrennung im Gotteshaus, die alles noch komplizierter machte. «Ich wurde als Junge wahrgenommen und musste mich an für Jungen geschaffene Normen anpassen», sagt sie.

Trotz der in der Moschee stark ausgeprägten Normen, konnte die islamische Theologie Jagiella Antworten auf das Gefühl des Anders-Seins, des Fremd-Seins in der Welt, die so gar nicht zu ihr zu passen schien, geben. Die Vorstellung, dass es eine göttliche Einheit gebe, die sich in der Vielfalt menschlicher Ausdrucksformen manifestiere, gab ihr Halt und war ihr Beweis, dass auch ihre Vielfalt einen Platz haben musste.

Das dritte Geschlecht in Südasien

Durch Recherchen im Internet fand sie mit 16 heraus, dass eine muslimische Trans-Community namens «Hijra» in Südasien existiert. Sie reiste nach Indien und später nach Pakistan, um mit ihnen zu leben. Rückblickend sagt sie, dass dies der Befreiungsschlag für ihre eigene Identität gewesen sei. Zwar habe sie auch in Deutschland «ein bisschen rumexperimentiert», doch offen als Frau konnte sie das erste Mal in Indien leben.

Wer sind die Hijras?

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Der Begriff Hijra beziehungsweise Khwajasara bezeichnet die traditionelle Gemeinschaft von intersexuellen Menschen und transidenten Frauen in Südasien. Sie werden als «drittes Geschlecht» bezeichnet, da ihnen eine spezifische gesellschaftliche Rolle und religiös-spirituelle Aufgabe zugewiesen wird.

Traditionell glauben sowohl hinduistische als auch muslimische Gemeinschaften in Südasien, dass ein drittes Geschlecht über besondere Kräfte verfüge und andere segnen oder verfluchen könne. Sie bekleideten in der Vergangenheit wichtige Positionen im früheren indischen Mogulreich.

Heute bilden sie in Ländern wie Indien, Pakistan und Bangladesch zwar eine akzeptierte, aber dennoch stark marginalisierte Minderheit. Die verbreiteten Einkommensquellen sind Auftritte und Segnungsrituale auf Familienfeiern sowie Prostitution.

Obwohl es beispielsweise in Pakistan eine fortschrittliche Transgender-Gesetzgebung gibt, werden dennoch viele Hijras von ihren Familien verstossen. Sie schliessen sich zu Surrogatfamilien zusammen – stark hierarchisch aufgebauten Gemeinschaften mit einem «Guru» an der Spitze.

«Am Anfang dachte ich, das ist das Paradies», erzählt Jagiella. Die Selbstverständlichkeit, mit der bei den Hijras Geschlechtsdiversität und Glaube vereint wurden und die hohe Sichtbarkeit von Transpersonen in diesen Gesellschaften berührte sie und gab ihr Kraft. Es gebe zwar auch Diskriminierung und Marginalisierung, wie etwa im Zugang zu Arbeit, Gesundheit und im allgemeinen Umgang. «Aber grundsätzlich zweifelt niemand an, dass auch diese Menschen Teil von Gottes Schöpfung sind», so Jagiella. 

Indisch bekleidete Menschen schauen in die Kamera.
Legende: Akzeptiert, aber marginalisiert: Mitglieder der Hijra-Community in der Nähe von Kalkutta. Imago/Pacific Press Agency

Allerdings gab es auch innerhalb der Hijra-Community Probleme. Zum einen wurde sie als weisse Europäerin anders wahrgenommen und hatte das Privileg, jederzeit zurück nach Deutschland fliegen zu können. Zum anderen konnte und wollte sie ihre individuelle Freiheit nicht immer in den autoritären Strukturen des Hijra-Kollektivs unterordnen.

Das «Dazwischen» ist auch ein Raum

Heute ist für Jagiella das «Dazwischen» der Raum, dem sie am ehesten angehört. Sowohl kulturell als auch durch ihre Erfahrungen als trans Frau ist sie in ihrem Leben mit dem Gefühl des Gemischten und des Dazwischenliegenden konfrontiert.

«Ich habe nie eine hundertprozentige Zugehörigkeit irgendwo gefühlt. Egal ob hier oder dort», sagt sie. Dieses grundlegende Gefühl der Fremdheit sei lange wie eine Wunde gewesen. Nun sei sie an einem Punkt, wo sie dies annehmen könne. «Ich umarme die Wunde. Das bin ich eben. Nicht zugehörig sein ist meine Zugehörigkeit.»

Sternstunde Religion, 13.11.22, 10:00 Uhr

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