Louise Brown war 36, als ihre Eltern kurz nacheinander starben. Das war ein grosser Schock, die britisch-deutsche Journalistin fiel in eine Depression: Nach aussen hin habe sie ihre Arbeit gemacht und sich um ihr Kind gekümmert, erzählt sie. «In mir drin aber war eine grosse Leere. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, mich in eine Ecke verkriechen und Ruhe und Dunkelheit haben zu wollen.»
In ihrer Not rief sie ein gemeinnütziges Bestattungshaus an, an dem sie immer wieder vorbeilief, und nahm eine kostenlose Trauerbegleitung in Anspruch. Im ersten Gespräch sei alles aus ihr herausgebrochen, sagt Brown. «Trauer, Wut, Frustration und Angst. Ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, die Trauer endlich zuzulassen und davon zu erzählen.»
Leid als Teil des Lebens
Der Verlust ihrer Eltern und die Trauer haben Louise Browns Leben verändert: Leistungsdruck und Erfolg standen nicht mehr zuoberst. Wichtiger wurden Nähe, Zuverlässigkeit und Widerstandskraft. In ihrem Buch «Was bleibt, wenn wir sterben» beschreibt sie eindrücklich, wie lange es gedauert hat, bis sie das Leid weniger als Störung, sondern als Teil des Lebens akzeptieren konnte.
Verändert hat sich auch ihr Beruf: Die Journalistin hat sich zur Trauerbegleiterin ausgebildet und ist Trauerrednerin geworden. «Aus all dem Schmerz wollte ich etwas Sinnstiftendes machen und mein Handwerk als Journalistin nutzen, aus dem Schweren und Dunkeln etwas Positives zu schaffen.» Also Trauerreden zu schreiben, die ein stimmiges Bild des verstorbenen Menschen zeichnen und die Hinterbliebenen in ihrer Trauer abholen.
Mühe mit der Institution Kirche
Inzwischen hat Louise Brown mehrere hundert Trauerreden gehalten für Menschen, die Mühe mit der Institution Kirche haben und deshalb anstelle eines Pfarrers lieber eine Trauerrednerin buchen. Bei vielen Familien sei eine gewisse Entfremdung eingetreten, was Kirche und Religion angeht, sagt sie. «Deshalb holen diese Menschen ihre Spiritualität vielleicht woanders.»
Von «kirchlicher Entfremdung» schreibt auch Urs Winter-Pfändler vom Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut (SPI). Sie mache sich insbesondere in urbanen Kantonen bemerkbar. So betragen laut Winter-Pfändler die Raten der Konfessionslosen in den grössten Schweizer Städten zwischen 33.5 Prozent (Bern) und 51.4 Prozent (Basel).
Massiver Mitgliederschwund
In seinem Aufsatz «Die Beerdigung in den beiden grossen Kirchen: hohe Zustimmung bei zunehmender säkularer Konkurrenz», publiziert im Oktober 2020, schreibt er aber auch: «Die allermeisten Verstorbenen, welche der katholischen oder der evangelisch-reformierten Kirche angehören, werden auch kirchlich bestattet.»
Allerdings leidet insbesondere die evangelisch-reformierte Kirche unter massivem Mitgliederschwund. Bezeichneten sich laut Bundesamt für Statistik 1970 noch knapp die Hälfte (49 Prozent) der Bevölkerung in der Schweiz als protestantisch, waren es 2018 weniger als ein Viertel (23 Prozent). Die Mitgliederzahl hat sich also halbiert.
«Kontext» ist der Podcast zu relevanten Themen aus Kultur und Gesellschaft – hintergründig, mutig und überraschend.
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Bestattungsmarkt mit individualisierten Angeboten
Klar ist: Die kirchlichen Bestattungen bekommen Konkurrenz durch weltliche Anbieter. Entstanden ist ein Bestattungsmarkt mit individualisierten Angeboten. Deshalb werden Kirchen nicht darum herumkommen, so Urs Winter-Pfändler, «dienstleistungsorientiert qualitativ hochstehende Arbeit zu leisten, wollen sie den heutigen Menschen nahe sein. Denn gerade Beerdigungen bleiben für die allermeisten Menschen wichtige und hilfreiche Rituale angesichts der Vergänglichkeit des Lebens.»
Das kann auch Louise Brown bestätigen: Rituale sind für Trauernde enorm wichtig. Zwei Drittel ihrer Trauerreden hält sie in christlichen Kapellen. «Viele Menschen schätzen die Räumlichkeiten, die Tradition und die Rituale. Aber sie können mit den religiösen Texten, mit denen sie aufgewachsen sind, nicht mehr so viel anfangen.»
In ihrem Buch zeigt sie vor allem eines: Wie man mit der Endlichkeit des Lebens Frieden schliessen kann. Unabhängig davon, ob man religiös ist oder nicht.