Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Trend zu grauem Haar Ist Grau das neue Wow? Wie Frauen ihre grauen Haare feiern

Wenn Frau ihre Haare grau trägt, liegt sie scheinbar im Trend. Und doch hält sich in vielen Köpfen hartnäckig: Graues Haar macht alt und unsichtbar. Was macht Grau mit Frau? Über die Nuancen einer Haarfarbe.

Mein Vater war nicht perfekt. Seine Haare aber waren makellos. Sie glänzten und waren weiss, seit ich mich an ihn erinnern kann. Schon bevor er 30 wurde, war er ganz weiss. War ich mit ihm unterwegs, hielten ihn oft Leute für meinen Opa, was ihn natürlich ärgerte. Wenn ich heute aber Fotos von ihm anschaue, weiss ich: Er sah umwerfend aus.

Meine Haare sind leider struppig. Aber wie bei meinem Vater sind sie früh grau geworden. Der grosse Unterschied: Ich bin eine Frau. Bei Mann mit grauem Haar haben viele George Clooney vor Augen. Einen sexy Silberfuchs. Bei Frau? Im schlimmsten Fall Cruella de Vil, im besten: eine graue Maus. Natürlich überspitze ich – das gehört zu meinem Beruf – aber die Grundhaltung stimmt. 

Comic, der Cruella de Vil zeigt.
Legende: Oh, Schreck! Und nicht nur die Frisur: Cruella de Vil aus dem Film «101 Dalmatiner» ist das ergraute Grauen. IMAGO / United Archives

Bisher habe ich meine Haare getönt. Nun habe ich, mit fast 40, entschieden, es zu lassen. Warum? Weiss ich nicht genau. Natürlich gibt es praktische Gründe: Zu mühsam ist es, ständig nachzufärben. Zu belastend die Färberei fürs Budget. Und die «höhere» Ebene meines haarigen Abenteuers? Die will ich erkunden. Lasse ich mich gehen? Oder bin ich jetzt die Frau, die zu ihrem Alter steht? Die Grau vielleicht gar «wow» findet?

Keine Frage der Eitelkeit 

Eine Frau, die ihre Haare grau trägt, ist die Schweizer Regisseurin und Autorin Katja Früh – auch bekannt für ihre Kolumnen. Auch über ihre grauen Haare hat sie geschrieben. Ein Text mit Köpfchen, nicht verkopft – wie von ihr gewohnt. Graues Haar, so schreibt sie, könne nach aussen zeigen, was innen passiert sei: «Dass man heller geworden ist. Im und auf dem Kopf. Klüger und gescheiter.» Witzig – und weise. 

Ältere Frauen mit gefärbten Haaren sehen oft noch älter aus.
Autor: Katja Früh Regisseurin und Autorin

Im Gespräch über den Text sagt Katja Früh, dass sich über ihre ersten weissen Haare, die sie mit knapp 60 entdeckte, freute: «Ich fand, dass graue Haare mir stehen.» Trotzdem färbte sie weiter – «aus Gewohnheit». Bis der Cut kam: «Ich hörte auf, weil es mich nervte.» Heute findet die 72-Jährige ihre Haare schlicht «gut und bequem». 

Gefärbtes Haar würde nicht unbedingt jünger machen, so Früh. Im Gegenteil: «Ältere Frauen mit gefärbten Haaren sehen oft noch älter aus.» Auch wenn es da natürlich Ausnahme gebe.

Ältere Frau mit grauen Haaren und grosser Brille.
Legende: Die Schweizer Autorin Katja Früh steht zu ihrer Haarfarbe – will aber damit nicht unbedingt Vorbild sein. SRF/Alec Handschin

Auch Früh zählt zu einer Minderheit. Denn die meisten Frauen färben ihre grauen Haare. Das unter Britinnen bekannte Motto «Dye until you die» – «Töne bis zum Tod» – betrifft eine Mehrheit der Frauen. Je nach Statistik schwanken die Zahlen zwar, aber grundsätzlich gilt: Die Hälfte bis zu drei Viertel der Frauen färbt ihr graues Haar. Warum? Weil in vielen Köpfen für viele Frauen grau gleich alt bedeutet. Gleich: Resignation. Gleich: Sich-Gehen-Lassen.

Katja Früh ist ihr Äusseres auch im Alter äusserst wichtig. Graue Haare sind für sie keine Frage der Eitelkeit: «Das graue Haar stimmt damit überein, wo ich im Leben stehe. Nichts daran fühlt sich falsch an.» Ein Vorbild für andere sein will Früh nicht: Davon sei sie «weit entfernt». Grau sein sei schlicht nach ihrem Geschmack. Das gefällt auch mir. 

Graue Superstars

Prominente, die explizit zu ihrem grauen Haare stehen zieren in letzter Zeit immer wieder die Schlagzeilen. Wohl präsentestes Promi-Beispiel: die Schauspielerin Andie MacDowell, auch Markenbotschafterin der Kosmetikmarke L’Oréal. Sie scheint weiss zu tragen, natürlich, weil sie es sich wert ist: «Noch nie habe ich mich so schön gefühlt.» Und auch andere Hollywood-Grössen wie Emma Thompson oder Meryl Streep tragen ihr graues Haar mit Stolz. 

Diese Stars, gross geworden in Hollywood, wo Ageism Alltag ist und Frau ab 40 zum Alteisen gehört, haben grosse Strahlkraft. Sie zeigen, dass auch Frauen mit grauen Haaren im Rampenlicht stehen sollten. 

Reise zum grauen Haar

Der Hype um die weissen Haare in Hollywood hat auch auf die sozialen Medien abgefärbt. Jung und Alt, bekannt und unbekannt, zeigen dort ihre grauen Strähnen. Ex-Miss Schweiz und Yogalehrerin Bianca Sissing ist ein Schweizer Beispiel. 

Seit Google weiss, dass mich graue Haare bewegen, spült mir mein Algorithmus ständig solche Inhalte rein. Von Frauen, die ihren Weg zum grauen Haar dokumentieren – vom hässlichen Ansatz am Anfang bis zur grauen Haarpracht. Ein populärer Hashtag: #greyhairjourney. 

Stichworte, die die Frauen auf ihrer «Reise» begleiten: Stärke, Stolz, Selbstliebe, die Befreiung von Scham. Meine neue Peergruppe inspiriert mich, irritiert mich aber auch: zu strahlend meist die Gesichter, zu smooth die Geschichten. 

Graue Haare bedeuten für viele gleich Altersheim: Das will ich aufbrechen.
Autor: Martin Dürrenmatt Coiffeur

Denn würde ich meine Reise beschreiben, würde das Zwischenfazit gerade eher mau ausfallen: grässlich, dieser Ansatz – und der verfärbte Rest. Horror! Aber ich halte durch. 

Grau mit Stil

«Grau ist wow», das steht in einer seiner Captions auf Instagram: Starcoiffeur Martin Dürrenmatt, der sonst Popstars wie Dua Lipa oder Comedienne Hazel Brugger frisiert, hat sich auf seine «Silver Ladys» spezialisiert. Vor drei Jahren lancierte er seine erste Show mit grauhaarigen Frauen. Ein Coiffeur, der auf Grau setzt: eine Seltenheit.

«Graue Haare bedeuten für viele gleich Altersheim: Das will ich aufbrechen», sagt Dürrenmatt. Das Feedback grauhaariger Frauen freut ihn: «Endlich werden wir gezeigt!» Unsichtbarkeit: bei grauen Frauen ein grosses Thema. 

In seinem Salon bei Zürich begleitet er Frauen beim Grau-Werden. Dafür nutzt er Farb-Techniken, die das natürliche Grau schöner machen. In Fachsprache: Highlights, Lowlights, Glossing. Sein Ziel: «Die Natur unterstützen, statt sie zu verbergen.» Die Resultate sind atemberaubend. 

Dürrenmatt kaschiert nicht, dass die grauen Haare für ihn ein gutes Business sind. «Viele meiner Kolleg:innen denken, dass graue Haare eine Nische seien. Natürlich nicht.» Die Zielgruppe sei gross, loyal, gebe Geld aus. Eine erste Session beim Coiffeur kann schon mal 1500 Franken kosten. Und mit «Silver Sense» hat Dürrenmatt kürzlich gar eine Produktlinie lanciert. 

Schön ergrauen kann auch teuer sein.
Autor: Ada Borkenhagen Psychologin und Autorin

Laut Dürrenmatt sind graue Haare klar auf einer Erfolgswelle. Ob sich der Trend halten werde? «Was sich sicher hält, ist der Trend zur Natürlichkeit.»

Jugend ist schön

Ada Borkenhagen hat ein Buch über Schönheitsideale geschrieben. Sie ist skeptisch, ob graues Haar ins gängige Schönheitsideal passt: «In unserer alternden Gesellschaft ist das universelle Schönheitsideal jugendlich und graues Haar ein klares Zeichen des Alters.» 

Natürlich könne graues Haares schön sein, so Borkenhagen. Besonders, wenn es gepflegt sei – oder beim Coiffeur schön aufgefrischt. «Aber schön ergrauen kann auch teuer sein.» 

Ältere Frau mit grauem Haar und kariertem Blazer vor dunklem Hintergrund.
Legende: Strahlend schön: Birgit Schrowange verbarg zunächst ihr ergrautes Haar, bevor sie es der Öffentlichkeit zeigte. Imago/APress

Wer grau trage, müsse das «Handicap», wie sie es vorsichtig nennt, aufwiegeln: «Grau ist nur dann schön, wenn sonst alles stimmt.» Ein frischer Teint, ein gepflegtes Gesicht. Als perfektes Beispiel nennt sie Birgit Schrowange. Die deutsche Moderatorin trug eine Zeit lang Perücke, bevor sie ihre grauen Haare präsentierte: «Sie sieht mit ihrem Haar super aus», findet Borkenhagen.

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Ada Borkenhagen: «Bin ich schön genug? Schönheitswahn und Body». Klett Cotta, 2025.

Graues Haar, sagt sie, würde zwar immer wieder mal als modisch gesehen. Durchsetzen, so glaubt sie, wird er sich nicht. Borkenhagen wagt aber ein hübsches Gedankenexperiment: «Würden die vielen Boomer, die jetzt ja gerade grau werden, ihre Haare natürlich tragen, könnte sich ein Trend durchsetzen.» 

Als ich meiner Mutter – Boomer-Generation, über 70, gefärbtes Haar – erzählte, dass ich nun nicht mehr töne, meinte sie: «Das ist früh. Willst du nicht noch warten?»

Worauf? Dass sich Schönheitsideale ändern? Auch wenn ich mich beim Blick aufs eigene Haar (noch) nicht freue: Vielleicht sollte man sich um diese Ideale nicht scheren. Hauptsache, man fühlt sich einigermassen wohl. Und wenn mal nicht: Bad Hair Day halt. 

Radio SRF 3, Giiget's, 18.10.2025, 9:00 Uhr

Meistgelesene Artikel