Die georgische Hauptstadt boomt. Immer mehr Reisende drängen sich durch Tiflis' Strassen. Beliebte Ziele sind neben orthodoxen Kirchen auch Moscheen und Synagogen.
Diese stehen in Tiflis ganz nahe beieinander. Interreligiöses Dreieck nennt es Sophie Zviadadze. Die Professorin für Religions- und Kulturwissenschaften führt mich zuerst zur Zentralmoschee Richtung Bäderviertel.
Tiflis heisst auf Georgisch Tbilissi, was so viel wie «warme Stadt» bedeutet. Ihren Namen verdankt sie heissen Schwefelquellen – noch heute zeugen alte Bäder davon.
Unscheinbare Moschee
Das orientalisch verzierte Bad wird oft mit der Moschee verwechselt. Die Moschee aber thront über dem Bäderviertel, von weitem sieht man das Minarett. Die Religionswissenschaftlerin Sophie Zviadadze führt mich den Hang hoch.
Die Zentralmoschee, gebaut aus Backstein, wirkt eher unscheinbar. Das sei typisch für Tiflis' Bauweise in jener Zeit, erklärt Sophie Zviadadze. Seit dem 16. Jahrhundert steht das muslimische Gotteshaus hier.
Speziell für die Zentralmoschee ist: Hier beten Sunniten und Schiiten. Wenn auch zu unterschiedlichen Gebetszeiten, betont die Religionswissenschaftlerin.
Was in anderen Weltregionen zu Konflikten und auch zu Krieg führt, funktioniere in Tiflis problemlos. Die muslimische Minderheit spanne hier zusammen, sagt Sophie Zviadadze, deren Spezialgebiet der Islam in Georgien ist.
Minderheiten unter Schutz
Heute leben rund zehn Prozent Musliminnen und Muslime in Georgien. Sie sind die grösste religiöse Minderheit im Land. Die meisten Menschen gehören der georgisch-orthodoxen Kirche an.
Unter Sowjetherrschaft spielte die orthodoxe Kirche in Georgien keine wichtige Rolle. Nach der Unabhängigkeit des Landes 1991 erlangte sie schnell ihre alte Macht zurück. Nationalistische Gedanken verbreiteten sich nach der Unabhängigkeit schnell: Nur wer der orthodoxen Kirche angehöre, sei ein echter Georgier, eine echte Georgierin
Diese Meinung habe sich in den letzten 15 Jahren verändert, freut sich die Religionswissenschaftlerin Sophie Zviadadze. Besonders bei den jungen Leuten.
Kaum Antisemitismus
Unsere zweite Station ist die grosse Synagoge. Auch sie liegt mitten in der Altstadt, nur ein paar Schritte hinter dem Marktplatz. Sofort fällt auf: Keine Polizei bewacht das jüdische Gotteshaus. Keine Sicherheitsschranken sind sichtbar.
In Georgien sei man stolz darauf, dass es kaum Antisemitismus gebe: «Niemandem würde es in den Sinn kommen, eine Synagoge anzugreifen», sagt Sophie Zviadadze.
Der Tourismus bringt Wandel
Keine fünf Minuten von der Synagoge weg steht die ehemalige Hauptkirche, die Sioni-Kirche. Im 6. Jahrhundert erbaut, wurde sie mehrmals zerstört und wiederaufgebaut. Nahe der orthodoxen Kirche stehen heute Marktstände, die Souvenirs verkaufen.
«Das wäre vor ein paar Jahren undenkbar gewesen», erzählt die Religionswissenschaftlerin. So nahe an der Kirche durften keine weltlichen Gegenstände feilgeboten werden. Der Tourismus bringe Veränderungen. Auch die georgisch-orthodoxe Kirche könne sich dem nicht entziehen.