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Unsichtbare Gefahr So kann man Machtmissbrauch vorbeugen: Fünf Handlungsfelder

Ob Schule, Unternehmen oder Verwaltung: Wo Menschen Macht ausüben, braucht es Strukturen, die schützen. Ein Experte für Missbrauchsprävention erklärt, was Organisationen brauchen, um verantwortungsvoll mit Macht umzugehen.

Macht ist nicht per se problematisch – aber sie wirkt. Sie kann schützen, fördern, kontrollieren. Oder sie kann einschüchtern, verletzen, zerstören. Entscheidend ist, wie Organisationen mit ihr umgehen und welche Strukturen sie schaffen, um Missbrauch zu verhindern.

Wenn Angst das Reden ersetzt

Stefan Loppacher ist Fachstellenleiter für Missbrauchsprävention und erlebt es in seiner Arbeit: Missbrauch ist selten das Resultat einer einzelnen Verfehlung. Viel häufiger ist er Ausdruck eines Systems, das Wegschauen begünstigt und Verantwortung diffus verteilt.

Stefan Loppacher

Kirchenrechtler und Präventionsexperte

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Stefan Loppacher ist Kirchenrechtler und Präventionsexperte. Bis 2024 verantwortete er die Präventionsarbeit im Bistum Chur. Heute steht er der nationalen Dienststelle «Missbrauch im kirchlichen Kontext» vor und engagiert sich als Co-Leiter der Fachstelle MachtRaum für einen reflektierten Umgang mit Macht in Institutionen.

Wenn in einer Organisation Macht unkontrolliert bleibt, kann ein Klima der Angst entstehen. Mitarbeitende trauen sich nicht, Grenzüberschreitungen zu melden, weil sie negative Konsequenzen fürchten. Loppacher spricht von Strukturen, die ein «System des Schweigens» fördern – in welchem Betroffene oft alleine bleiben. Besonders heikel ist das in Institutionen, wo Hierarchien stark ausgeprägt sind oder Einzelpersonen grossen Einfluss haben.

Ein Fall an der Universität Basel zeigt, wie brisant solche Dynamiken sein können: Zwei Professoren wurden beschuldigt, ihre Macht über Jahre gegenüber Doktorandinnen ausgenutzt zu haben – auch sexuell. Trotz bestätigter Vorwürfe blieben sie zunächst im Amt. Die Universität wurde kritisiert wegen mangelnder Transparenz und fehlendem Schutz. Der Fall zeigt, was passiert, wenn Strukturen sich selbst statt die Betroffenen schützen.

Ähnliche Muster zeigen sich auch in der Schweizer Armee. Eine 2024 publizierte Studie dokumentiert Erfahrungen mit Diskriminierung, sexualisierter Gewalt und fehlendem Schutz. Die Reaktionen der Vorgesetzten seien teils unprofessionell oder bagatellisierend gewesen. Die Armee kündigte Reformen an, darunter eine externe Meldestelle und verpflichtende Schulungen zu Macht und Nähe.

Wer Betroffene hinten anstellt, gefährdet die Glaubwürdigkeit der Organisation.
Autor: Stefan Loppacher Leiter der Dienststelle Missbrauch im kirchlichen Kontext

Stefan Loppacher warnt: «Organisationen, die sich zuerst um sich selbst kümmern und erst dann um die Betroffenen, laufen Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren.» Vertrauen entstehe nicht durch ein einwandfreies Image, sondern durch den offenen Umgang mit Fehlern. Deshalb sei es zentral, dass Institutionen eine klare Haltung zu Machtfragen entwickeln – und danach handeln. Was können Institutionen also tun, um solche Dynamiken zu vermeiden?

Loppacher nennt fünf zentrale Handlungsfelder:

  1. Feedbackkultur etablieren: Feedback darf kein Tabu sein. Mitarbeitende müssen ihre Vorgesetzten kritisieren dürfen – ohne Angst vor Konsequenzen.
  2. Verbindliche Schulungen: Sensibilisierung für Nähe, Distanz und Machtmechanismen darf keine Option sein. Sie muss Pflicht sein – für alle, auch auf oberster Ebene.
  3. Klare Regeln mit Konsequenzen: Ein Verhaltenskodex nützt nur, wenn Verstösse sanktioniert werden. Sonst bleibt er symbolisch.
  4. Unabhängige Meldestellen: Es braucht geschützte Anlaufstellen – intern oder extern –, an die sich Betroffene anonym wenden können.
  5. Geeignetes Führungspersonal: Wer Verantwortung trägt, muss fachlich kompetent und persönlich reflektiert sein. Psychologische Eignung ist ebenso wichtig wie Erfahrung.

Machtmissbrauch lässt sich nicht vollständig verhindern. Aber: Institutionen können Strukturen schaffen, die Risiken minimieren. Und so die Menschen schützen, die ihnen vertrauen.

Radio SRF 3, Focus, 5.5.2025, 20:00 Uhr

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