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Verstorbener US-Philosoph John Searle: Der Denker hinter dem «Chinesischen Zimmer»

Er war einer der wichtigsten Philosophen der letzten 50 Jahre: der US-Amerikaner John Searle (31.7.1932–17.9.2025). Nun ist er gestorben. Sternstunden-Moderator und Philosoph Yves Bosshart hat ihn kennengelernt – und berichtet von Licht und Schatten des Denkers.

Yves Bossart

Moderator und Philosoph

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Yves Bossart, geboren 1983, ist promovierter Philosoph und arbeitet als Redaktor und Moderator für die SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie».

Was hat John Searle die Welt gelehrt?

Er hat gezeigt, dass Sprechen eine Form von Handeln ist. Indem wir reden, tun wir auch immer etwas: Wir empfehlen etwas, wir beleidigen jemanden oder wir versprechen bestimmte Dinge. Und er lehrte uns auch, dass Computer niemals denken können. Was in Anbetracht von ChatGPT und Co. gerade wieder hochaktuell ist.

Warum können Computer nicht denken?

Computer erleben nichts. Sie können die Bedeutung von Wörtern nicht verstehen. Searle verdeutlichte das mit einem berühmten Gedankenexperiment, dem «Chinesischen Zimmer». Der imaginierte Versuchsaufbau: Eine Person sitzt in einem Raum und versteht kein Chinesisch. Sie bekommt durch einen kleinen Schlitz bestimmte chinesische Zeichen ausgehändigt und hat neben sich ein Handbuch liegen, weiss also immer, mit welchen Zeichen sie antworten muss auf die Zeichen, die hineinkommen. Von aussen sieht es für Beobachtende also so aus, als würde die Person in dem Zimmer Chinesisch verstehen. Aber de facto tut sie das nicht.

Warum widerlegt das Chinesische Zimmer den «Turing Test»?

Der «Turing Test» besagt: Wenn wir mit einer Maschine interagieren und nicht merken, ob es sich dabei um eine Maschine handelt oder einen Mensch, dann kann sie denken. Dies hat Searle widerlegt, indem er gezeigt hat, dass es zwar aussieht, als könne jemand Chinesisch, dass aber de facto nur Regeln befolgt werden.

Mit welchen Themen beschäftigte sich John Searle?

Bei Searle ging es viel um Sprache, Bedeutung und um Regeln. Sprechen ist für ihn etwa eine Regelfolge. Jedes Wort wird nach bestimmten Regeln verwendet, ähnlich wie eine Schachfigur; mit einem Turm darf man etwas anderes machen als mit einem Läufer oder einem Pferd. Und so sei das auch mit Wörtern. «Aber», «oder» «und» oder «bitte» haben alle verschiedene Regeln. Diese Idee stammt ursprünglich von dem österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein. Searle hat sie für sein Hauptwerk ausgearbeitet, für die «Theorie der Sprechakte» (1969).

Er interessierte sich dafür, dass wir mit Sprache Realität schaffen, die Handlungen, aber auch Bedeutungen erschaffen. Warum hat ein Stück Papier etwa einen Wert von 100 Franken? Das hat Searle interessiert, aber auch die Bedeutung von Zeichen oder Rechten und Moral. Die sind nach Searle aber nur objektiv, weil wir daran glauben.

Warum ist die Person John Searle umstritten?

In den letzten Jahren gab es mehrere Vorwürfe gegen ihn wegen sexueller Gewalt. 2019 wurde Searle sogar vom Präsidium der Berkeley Universität wegen sexueller Belästigung für schuldig befunden, woraufhin ihm die Mitgliedschaft an der Universität entzogen wurde und auch sein Status als emeritierter Professor. Das ist ein dunkler Schatten, der über diesem sehr wichtigen Denker liegt.

2018 war Searle in der «Sternstunde Philosophie» zu Gast und hinterliess ebenfalls einen eher ambivalenten Eindruck: Sehr lebendig und beeindruckend als Denker, aber als Mensch weniger grossartig. Einerseits wegen seines Umgangs mit Frauen. Andererseits sagte er in der Sendung, man solle den Tod verdrängen, solange man lebt. Man solle so leben, als gäbe es ihn nicht. Dabei meinte schon der alte Sokrates, «Philosophieren heisst auch sterben lernen». Diese Haltung ist mir viel sympathischer.

Radio SRF2 Aktualität, Kultur-Aktualität, 29.9.2025, 17:10 Uhr ; 

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