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Die Stadt der Zukunft: vom Leben eines Obdachlosen
Aus HörPunkt vom 19.10.2018. Bild: SRF / Yvonne Rogenmoser
abspielen. Laufzeit 13 Minuten 39 Sekunden.
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Vom Manager zum Obdachlosen «Mit so einem Scheissleben kann man nur noch ironisch sein»

Heinz war erfolgreich – und hat trotzdem alles verloren. So erlebt er die Stadt als Obdachloser.

Ich habe kein Problem als Randständiger. Auch vorher, in meinem Berufsleben, war ich ein Randständiger.

Ich hatte einen 3000-Dollar-Anzug nach Mass, ein weisses Hemd, Krawatte und ein dickes Geschäftsauto. Dadurch fiel ich schon damals in die Schublade der Randständigen.

Natürlich war das ein anderer Randstand. Eigentlich das Gegenteil.

Frau weg, Kinder weg

Meine Lebensgeschichte ist ganz einfach: 2005 wurden meine Kinder entführt. Danach musste ich aus der Wohnung raus.

Ich hatte einen anderen Lebensstandard als die meisten Leute. Ich musste Ende Monat nie rechnen, ob ich über die Runden komme, oder nicht. Ich habe gut verdient.

Ich habe aber auch 16 Stunden pro Tag gearbeitet.

Meine Kinder kamen dann wieder zurück – das kam wieder ins Lot. Ich glaube, meine Frau wurde von den Religiösen und von den politisch engagierten Nachbarn so unter Druck gesetzt, dass sie irgendwann durchgedreht ist und ins Frauenhaus ging.

Ich wusste das nicht. Sie hatte auch keinen Grund, ins Frauenhaus zu gehen. Ich war nie gewalttätig, ich habe nie etwas gemacht, das ihr geschadet hätte.

Im Park gibt es Probleme mit der Polizei

Wenn man sich den «Sleeper» hier anschaut, sieht es von aussen nicht sehr schön aus. Aber innen ist es wenigstens sauber.

Denn oft herrschen in den Häusern, in denen ich rein durfte, katastrophale Zustände. Die schimmeln. Das ist nicht unbedingt gesundheitsfördernd.

Betten in einer Obdachlosenunterkunft.
Legende: Der «Sleeper» ist eine Obdachlosenunterkunft in Bern. Keystone

Ich verbrachte meine Tage in der Postkasse oder in der Prärie – einem offenen Haus in Bern. Dort kann man sein. Man kann etwas essen, etwas trinken. Kaffee und Brot gibt es immer. So wird man nicht auffällig gegenüber der Polizei.

In einem Park muss man jede halbe Stunde den Platz wechseln. Denn Zivilfahnder machen sich eine Freude daraus, dich auf die Polizeiwache zu bringen.

Dort muss man sich ausziehen. Sie durchsuchen dich auf Drogen. Das ist nicht besonders angenehm.

Eine Stunde hat 60 Minuten

Ich nehme keine Drogen. Ich trinke keinen Alkohol. Vielleicht mal ein Glas Wein. Ich finde, ich bin ein normaler Bürger.

Im Winter verbringe ich meine Zeit oft in der Prärie. Draussen ist es minus 20 Grad. Um 10 Uhr morgens muss ich beim «Sleeper» – also der Notschlafstelle – raus und kann erst um 10 Uhr abends wieder rein.

Was man in der Zeit dazwischen macht, interessiert niemanden. Eine Stunde hat 60 Minuten. Die Zeit, die man draussen verbringt, ist lang.

«Und dann landet man in der Kiste»

Ich habe viel gelesen oder mich für andere Leute eingesetzt, die sich in der selben Lage befanden. Ich habe für Leute Briefe an die Ämter geschrieben, die Mühe damit hatten.

Ich habe auch geschaut, dass die Leute, die sie in die Psyche versorgt haben, die entsprechenden Kontakte bekamen, damit sie wieder rauskommen.

Das Problem ist: Wenn man auf der Strasse aufgegriffen wird und man sich wehrt – was ja legitim ist – ist das Widerstand gegen die Staatsgewalt. Und dann landet man in der Kiste oder in der Psyche.

Die beste Hilfe bieten die Randständigen

Die Stadt Bern selbst bietet eigentlich nichts für die Obdachlosen. Die einzigen, die dir helfen, sind die Randständigen. Also Leute, die selbst zum Teil obdachlos sind und in besetzen Häusern oder Bauwagen wohnen.

Helfen, dass man zu seinem kleinen Wohlstand kommt, tut dir niemand. Das kannst du vergessen.

Klar, am Abend kann man in der Reithalle rumhängen und eine Cola trinken (wenn man keinen Alkohol trinkt). Man kann sich natürlich auch volllaufen lassen, kiffen.

Sonst bietet die Stadt Bern kulturell nicht viel Konkretes. Ausser die Aare, in der man schwimmen kann und die kostenlosen Freibäder. Es ist für mich wichtig, dass ich keinen Eintritt zahlen muss.

Dass man in Bern Anschluss findet, muss man bei einer Vereinigung sein, bei den Linken oder den Rechten. Dann kann man in den Beizen auch seine Kontakte pflegen.

Wenn man sich aber wie ich zu keiner Gruppe zählt, ist es sehr schwierig, Kontakt mit den Leuten zu haben.

Ich bin ein «Edel-Obdachloser»

Im Sleeper bin ich nicht mehr. Ich bin quasi ein «Edel-Obdachloser», wenn man so will. In der Prärie lernte ich jemanden kennen, der mir während sechs Monaten ein Zimmer zur Verfügung gestellt hat.

Und da ich wusste, dass ich danach wieder raus musste, habe ich mit den Leuten vom Sleeper gesprochen. Die haben gesagt, sie schauen für mich.

24 Stunden bevor ich aus meinem Zimmer raus musste, sagten sie mir: «Wir haben ein Zimmer für dich. Die Frau, die dieses Zimmer hatte, musste in die Untersuchungshaft. Wir räumen das Zimmer, streichen es neu, kaufen Möbel – du kannst auch mitkommen. Dann richten wir das Zimmer ein.»

Und da wohne ich jetzt.

Wie es ist, wieder eine Wohnung zu haben

Ich wohne gerne alleine für mich. Es gibt niemanden, der mich «schissig» macht. Der mir seine Weltanschauung aufschwatzen will. Von dem her habe ich keine Probleme.

Wenn ich mich einsam fühle, mache ich dasselbe, was ich schon gemacht habe, als ich noch einen 3000-fränkigen Anzug getragen habe: Ich gehe spazieren und dann geht das auch wieder vorbei.

Das Einzige, was mir fehlt, ist mein Töff. Den hatte ich sehr gerne. Was ich gerne hätte, ist ein Hund.

Soviel Ironie muss sein

Wie es weitergeht in meinem Leben? Ja, ich hoffe einfach, dass ich irgendwann sterbe. Wie alle Leute.

Was willst du in meinem Alter noch machen? Ich lebe einfach in den Tag hinein. Kaufe irgendwann eine Herlitz-Mappe für unter den linken Arm. Und in der rechten Hand das Handy. Und laufe zügig über den Bahnhofplatz, damit alle Leute meinen, ich sei ein schwer beschäftigter Manager.

Nein, soviel Ironie muss sein. Aber in meinem Fall kann man ja nur noch ironisch sein. Sonst müsste ich ja heulen. Wenn man so ein Scheissleben hat.

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