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Wege aus dem Dauerstress Endlich zur Ruhe kommen – die unterschätzte Kraft der Pause

Arbeitspausen werden oft als Zeitverschwendung gesehen. Zu Unrecht, denn sie machen kreativer, produktiver, und halten gesund.

In der Schulzeit war das noch ganz einfach. Nach jeder Lektion von 45 Minuten gab es eine kleine Zäsur: kurz den Kopf lüften und dem Hirn eine Pause von Plusquamperfekt oder Geometrie gönnen, mit den Gspändli quatschen oder das Zimmer lüften.

Auf der höheren Stufe musste man zudem meistens das Schulzimmer wechseln, wodurch man den Körper kurz bewegte. Diese Strukturen von aussen führen dazu, dass Kinder viele Pausen einlegen.

Richtig Pause machen? Ein Kinderspiel!

Ohne es zu wissen, machen sie damit alles richtig. Denn diese Art von Unterbrechung hilft dem Gehirn, sich zu erholen. Sie entspricht in etwa dem 5-zu-1-Prinzip: Alle 50 Minuten 10 Minuten Pause einlegen.

Zwei aus der Vogelperspektive fotografierte Kinder zeichnen mit Kreide auf einem Pausenplatz
Legende: Spielend leicht den Kopf durchlüften: Nicht nur in der Schule gelingt es Kindern mühelos, genug Pausen zu machen. Getty Images/John Slater

Dieses Verhältnis habe sich in der Wissenschaft als erfolgreich herausgestellt, erklärt der deutsche Hirnforscher und Sachbuchautor Henning Beck. Das Ziel: «Immer wieder die Möglichkeit haben, zu regenerieren, damit wir besser weitermachen können.»

In vielen Berufen sind solche Pausen jedoch kaum umsetzbar, etwa für eine Lastwagenfahrerin oder einen Pflegefachmann. Und selbst diejenigen Angestellten, die theoretisch mehr Pausen während der Arbeitszeit machen könnten als die eine Stunde über Mittag, tun es häufig nicht. Warum eigentlich?

Junger Mann mit dunkelblondem Haar schaut in die Kamera
Legende: Pausen einzulegen sei gesund, sagt der Neurowissenschaftler Henning Beck. Marc Fippel/Henning Beck

Pausen werden in unserer Gesellschaft als verschwendete Zeit missverstanden, sagt der Hirnforscher: «Wir optimieren die Pausen weg.» Ein Irrtum, denn Pausen machen produktiver, kreativer und nicht zuletzt gesünder, wie die Forschung beweist. Die Pause wäre ein so einfaches wie effektives Mittel, um Dauerstress abzubauen und die grassierende Erschöpfung zu bekämpfen.

Emotional erschöpfte Eidgenossenschaft

In der Schweiz wird seit 2014 erhoben, inwiefern wir uns durch den Job gestresst fühlen. Letztes Jahr hat der sogenannte  Job-Stress Index Schweiz  erstmals die 30-Prozentmarke geknackt: Demnach fühlt sich über ein Drittel der Arbeitstätigen hierzulande emotional erschöpft. Bei etwa 28 Prozent bewegt sich der Job-Stress sogar in einem kritischen Bereich.

Diese Zahl sollte zu denken geben, erklärt der Arbeitspsychologe Norbert Semmer. Der Stress-Experte ist emeritierter Professor der Uni Bern und Mitverfasser der Studie.

«Die Stress-Tendenz steigt weiter, wenn wir nichts dagegen tun», erklärt der Arbeitspsychologe. Als Folge von Dauerstress liefen Menschen Gefahr, zu erkranken, etwa an Herz-Kreislaufkrankheiten. Ausserdem bestehe das Risiko, dass nicht alle Erschöpften bis zur Pensionierung arbeiten könnten. 

Semmer weiss, wovon er spricht: 2012 setzte er sich für die Initiative «6 Wochen Ferien für alle» ein. Bereits damals verfasste er ein Gutachten, das deutlich machte, wie wichtig kleine Pausen im Alltag sind, um den Stresslevel zu regulieren.

Dauerstress geht ins Geld

Während die Betroffen im schlimmsten Fall mit ihrer Gesundheit zahlen, kostet der Stress die Wirtschaft Geld: Über 6,5 Milliarden Franken pro Jahr sollen es gemäss dem Job-Stress-Index sein.

Pausen beeinträchtigen die Leistung nicht.
Autor: Norbert Semmer Arbeitspsychologe

Mit mehr Pausen könnte dem abgeholfen werden, weiss der Arbeitspsychologe: «Pausen werden völlig unterschätzt. Die Leute meinen immer, dass durch Pausen weniger gearbeitet wird. Dem ist aber nicht so. Pausen beeinträchtigen die Leistung nicht.»    

Ein ewiges Getriebensein

Wer sich keine Pause gönnt, dessen Hirn droht zu erschöpfen. Hirnforscher Henning Beck vergleicht es mit dem Essen: «Wenn wir permanent essen, platzen wir irgendwann. Wenn ich permanent Informationen konsumiere, ‹platze› ich auch.»

Diese Erschöpfung zeige sich etwa im Gefühl, dass die Zeit zu rasen scheint. Typische Anzeichen für Erschöpfung seien zudem «nur schlecht abschalten zu können, das Wichtige nicht vom Unwichtigen unterscheiden zu können und ein ewiges Getriebensein.»

Tückische Technologie

Der Hirnforscher bezeichnet die Erschöpfung in der Arbeitswelt als Zeitgeist-Phänomen: Durch die Schnelligkeit und Entgrenzung der Medien lasse sich theoretisch überall kommunizieren und arbeiten. Das könne zur Erschöpfung führen.

Gestresste Frau sitzt auf dem Sofa, einen Laptop im Schoss
Legende: Entgrenzte Kommunikation: Die moderne Arbeitswelt verleitet gerne dazu, auch an freien Tagen das E-Mail-Postfach zu checken. Das beeinflusst die Zeitwahrnehmung, Getty Images/Basak Gurbuz Derman

«Wir leben in Zeiten, in denen wir stark getrieben sind von neuen Technologien», erklärt der Hirnforscher. Diese Technologien seien eigentlich sehr praktisch, würden jedoch unsachgemäss gebraucht.

Mythos Multitasking

Wer kennt es nicht: mit einem Ohr beim virtuellen Meeting zuhören und gleichzeitig mit einem Auge ein Mail überfliegen. An mehreren Projekten gleichzeitig arbeiten. Auf zwei Bildschirmen mehr Informationen zur Auswahl haben, als verdaut werden kann.

Dazu kommt das Handy, das ebenfalls ständig Neuigkeiten für uns bereithält. Abgestellt wird es auch auf dem Heimweg oder zu Hause nicht: noch eine Mail raushauen oder auf dem Laptop eine Präsentation fertig machen. 

Mann bedient Laptop, Tablet und Smartphone gleichzeitig
Legende: Erkennen Sie den Fehler? Die Beschäftigung an mehreren Bildschirmen gleichzeitig ist verbreitet, aber alles andere als gehirngerecht. Getty Images/Tetra Images

Multitasking gehört zum Alltag. Das Problem: Es funktioniert nicht. Das Gehirn sei nicht darauf ausgelegt, viele Aufgaben parallel zu verarbeiten, erklärt Hirnforscher Beck. Es könne wie ein Fernseher nur von einem Programm zum nächsten springen. 

Darum sind Pausen wichtig

«Unser Denkorgan ist nicht darauf angelegt, permanent gut zu arbeiten», so Beck. «Einen Computer kann ich zu jeder Uhrzeit einschalten und er funktioniert. Bei einem Gehirn ist das anders.»

Das Hirn ist nicht darauf eingestellt, immer weiterzumachen.
Autor: Henning Beck

Beck vergleicht das mit dem Sport: So wie Profisportlerinnen und -Sportler Phasen der Regeneration in ihren Trainingsplan einbauen, benötigt auch das Hirn bei der Arbeit Pausen.

Erschöpfung entstehe dann, wenn das Hirn in der Regenerationszeit weiterarbeite: «Das Hirn ist vom Stoffwechsel her nicht darauf eingestellt, immer weiterzumachen. Genauso, wie Sie beim Sport machen ermüden, ermüden auch Nervennetzwerke, wenn sie permanent gefordert werden.»

Wie beim Sport lautet auch beim Denken die Lösung Pause machen: «Pausen sind unerlässlich, damit ich besser werde», so Henning Beck. 

«Der Fortschritt ist eine Schnecke»

Doch wenn Pausen nicht nur gegen Erschöpfung helfen, sondern uns gleichzeitig produktiver machen, warum machen wir dann nicht öfter und vor allem richtig Pause? 

«Die Vorstellung, dass Pause machen produktiv ist, geht gegen unsere Intuition», erklärt Arbeitspsychologe Norbert Semmer. Vielen Vorgesetzten gehe es nicht in den Kopf, dass jemand produktiv sei, der gerade Pause macht. Dabei würden die Daten genau dies zeigen.

So macht man richtig Pause – drei goldene Regeln

Box aufklappen Box zuklappen

Hirnforscher Henning Beck erklärt, worauf es beim Pause machen ankommt:

  1. Man sollte eine Pause nicht mit einer neuen Aufgabe füllen, sondern sich ihr hingeben. Sprich: Wir sollten in einer Pause Dinge tun, die wir nicht messen können und die keinen messbaren Effekt für die Arbeit haben. Etwa ein Gespräch bei einem Kaffee, spazierengehen oder spielen.  
  2. Pausen sollten einen definierten Anfang und ein definiertes Ende haben. Das macht es einfacher, wieder in die Arbeit hineinzukommen. Pausen zu planen ist auch deshalb eine gute Idee, weil sie sonst oft vergessen gehen.
  3. Pausen sollten wir räumlich getrennt vom Arbeitsort verbringen. Denn Räume prägen die Art und Weise, wie wir denken. Machen wir Pause an einem Ort, den wir mit Pause verbinden, kommen wir besser in den Pausenmodus, als wenn wir etwa ein Sandwich am Arbeitsplatz essen.

«Viele sind nicht davon überzeugt, dass diese wissenschaftlichen Ergebnisse auch umgesetzt werden müssen. Dabei würde es allen Beteiligten helfen», so Semmer. Er beobachte aber auch, dass manchen Unternehmen die Bedeutung der Pausen bewusst sei und sie auch versuchen, dieses Wissen umzusetzen. 

Für eine gesunde Pausenkultur brauche es einen Kulturwandel, doch die Diskussion laufe schon seit 100 Jahren: «Der Fortschritt ist eine Schnecke», sagt Norbert Semmer. «Es geht langsam. Aber immerhin geht es vorwärts.»

Mindestziel Mikropause

Auch wenn es für unseren Geist und unsere Körper ideal wäre, alle 50 Minuten 10 Minuten Pause zu machen, lässt sich dieses Prinzip nicht für alle einfach so in die Tat umsetzen. Doch es gibt eine Alternative: die Mikropause. Sie lässt sich viel einfacher einbauen und hat eine grosse Wirkung.

Mikropausen dauern eins bis drei Minuten. Ein kurzer Moment, in dem wir innehalten. Den Blick schweifen lassen. Die verspannten Schultern hängen lassen. Wer es ausprobiert, wird staunen, wie lang sich so eine Minute anfühlen kann! 

Radio SRF 2 Kultur, 08.01.2023, 07:30 Uhr

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