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Gelöschte Wikipedia-Einträge von Frauen
Aus Kultur-Aktualität vom 08.03.2023. Bild: Getty Images / SOPA Images / LightRocket
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Weltfrauentag Werden Frauen auf Wikipedia diskriminiert?

Auf der Online-Enzyklopädie werden immer wieder Artikel gelöscht – insbesondere Artikel über Frauen. Wieso passiert das?

Wikipedia bleibt für viele die erste Anlaufstelle, wenn es darum geht, schnell an Informationen zu kommen. Biografische Einträge zu Frauen aber sind Mangelware - und werden teilweise wieder gelöscht.

Muriel Staub, Präsidentin der Schweizer Wikimedia, erklärt, warum Frauen oft eine höhere Hürde haben, um den Relevanzkriterien auf Wikipedia zu genügen.

Muriel Staub

Muriel Staub

Präsidentin der Schweizer Wikimedia

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Muriel Staub arbeitete unter anderem für Apple in der Schweiz, wo sie mehrere Projekte insbesondere zum pädagogischen Inhalt von iBookstore, App Store und iTunes University leitete. Ausserdem war sie Geschäftsführerin von Open Data Schweiz, dem Schweizer Ableger der Open Knowledge Foundation.

Seit 2017 arbeitet sie auch für die gemeinnützige Organisation Avaaz. Zusammen mit Katia Murmann und Patrizia Laeri gründete Staub im Jahr 2018 die Initiative «Frauen für Wikipedia».

SRF: Warum werden Einträge über Autorinnen, Wissenschaftlerinnen und Expertinnen immer wieder gelöscht?

Meistens werden die Artikel mit der Begründung gelöscht, dass sie den Relevanzkriterien auf Wikipedia nicht entsprächen. Diese Kriterien werden ausgehandelt und sind Ergebnisse mehrjähriger Diskussionen. Sie geben Orientierung, wann eine Person einen eigenen Artikel haben darf.

Vielleicht stammen die Relevanzkriterien aus einer Welt, die Frauen diskriminiert.

Für Autorinnen bedeutet das, dass sie zum Beispiel vier Sachbücher geschrieben und bei einem seriösen Verlag veröffentlicht haben müssen. Dann ist man für die Wikipedia relevant und darf auch seinen eigenen Artikel haben.

Werden Einträge zu Frauen überproportional häufig gelöscht? Gibt es dazu Daten?

Es ist Realität, dass jeden Tag Artikel bei Wikipedia gelöscht werden. Das gehört dazu. Auch Artikel über Männer werden gelöscht. Ich habe aber eine spannende Studie gefunden über die englischsprachige Wikipedia. Die Studie von 2021 kam zum Ergebnis, dass in der Tat mehr Frauenbiografien gelöscht werden.

Wer diese biografischen Einträge löscht, behauptet meist, die betreffende Person sei nicht relevant. So ist das vor zwei Jahren der Schweizer Autorin Tabea Steiner passiert, obwohl ihr erster Roman damals schon für den Schweizer Buchpreis nominiert war. Wer entscheidet bei Wikipedia darüber, was relevant ist und was nicht?

Alle, die ein Benutzerkonto auf Wikipedia haben, können sich an solchen Löschdiskussionen beteiligen und Argumente für oder gegen die Löschung eines Artikels einbringen. Das bessere Argument zählt.

Der Anteil an Frauenbiografien hat sich seit 2009 immerhin um knapp drei Prozent erhöht.

Normalerweise läuft eine solche Diskussion eine Woche lang und ist transparent für alle einsehbar. Dann entscheidet im Normalfall ein Administrator oder eine Administratorin, ob dieser Artikel gelöscht oder behalten wird.

Wieso werden dann Einträge von Frauen überproportional häufig gelöscht? Wie erklären Sie sich das?

Eine Erklärung ist, dass diese Relevanzkriterien vielleicht auch aus einer Welt stammen, die gegebenenfalls Frauen diskriminiert. Wenn zum Beispiel eine Architektin nur einen Artikel haben darf, wenn sie einen Preis gewonnen hat, die Gewinner dieser Preise aber hauptsächlich Männer sind, sind diese Relevanzkriterien eine Hürde für Frauen. Das könnte ein Grund sein, dass diese Verzerrung schon dort stattfindet und die Relevanzkriterien Frauen möglicherweise diskriminieren.

Seit langem ist auch bekannt, dass immer noch sehr wenige Frauen an Wikipedia mitschreiben.

Die Verzerrung bei der Autorschaft, dass also nur so wenige Frauen mitschreiben, schlägt sich auch in Inhalten nieder. Das ist eine grosse Herausforderung, und die müssen wir angehen.

Der Anteil an Frauenbiografien hat sich seit 2009 immerhin um knapp drei Prozent erhöht. Wir sind jetzt bei 17,3% Frauenbiografien. Als ich angefangen habe, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen, waren es ungefähr 14%. Es hat noch viel Luft nach oben. Aber ich bin auch zuversichtlich, dass wir die richtige Richtung einschlagen.

Das Gespräch führte Katharina Brierley.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 08.03.2023, 17:10 Uhr.;

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