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Cantopop
Aus 100 Sekunden Wissen vom 22.07.2019. Bild: © Sebastien Thibault
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«Cantopop» Musik der Hongkong-Proteste: Zwischen Kitsch und Wasserwerfern

Der Cantopop aus Hongkong wurde zum kulturellen Exportschlager. Ein Kuschelsound, der auch zur Protestplattform taugt.

Cantopop kann richtig politisieren. Das zeigte sich, als Denise Ho vor ein paar Wochen mit mehr als einer Million Hongkonger auf die Strassen ging.

Die berühmte Cantopop-Sängerin ist die Ikone der Demokratiebewegung in Hongkong: Sie sprach in Genf vor der UNO-Menschenrechtskommission, als ein Hearing zu den Protesten stattfand. Das Lied «Raise Your Umbrellas» – vorgetragen von Denise Ho und weiteren Cantopop-Künstlerinnen und Künstlern – wurde zu einer Hymne der Hongkonger Proteste.

Allein: Der Cantopop ist im Kern ein Kuschelsound. Für europäische Ohren klingt er tendenziell kitschig.

Dabei imitiert und importiert der Stil oft einfach den Herzschmerz aus dem Westen. So wie Sandy Lam in den 80ern: Sie coverte die Über-Schnulze «Take My Breath Away» aus dem Hollywood-Blockbuster «Top Gun». Lam schmachtete zu Giorgio Moroders ohrwurmiger Melodie – auf kantonesisch. Ein Hit.

Der Cantopop schillert zwischen den Kulturen: Er vermengt westlichen Pop mit traditionell chinesischer Musik. Gesungen wird der Cantopop auf Kantonesisch, dem Hongkonger Dialekt.

Blütezeit des Cantopop

Das Musikgenre entstand Ende der 1970er-Jahre. In der britischen Kronkolonie begeisterten sich chinesische Jugendliche für frische Sounds aus den USA und Grossbritannien. Junge Amateurmusiker kombinierten diese Einflüsse mit dem geschmeidig klingenden Kantonesisch. Hinzu kam ein typisch chinesisches Flair für süsslich-schwelgerische Melodien.

Die 80er-Jahre wurden zur Blütezeit des Cantopop. Musiker wie Leslie Cheung, Alan Tam oder die Band Beyond machten den Cantopop zur Hitmaschine. Platten und CDs fanden nicht nur in China, sondern in ganz Südostasien reissenden Absatz.

Ein Mann auf einer Bühne winkt in die Menge.
Legende: Frontman Steve Wong winkt zum Abschied: 2005 gab die berühmte Hongkonger Band Beyond ihr letztes Konzert. Reuters

Mit der Rückkehr Hongkongs zur Volksrepublik China im Jahr 1997 veränderte sich die asiatische Musikszene. Der bis dahin so erfolgreiche Cantopop schlitterte in eine Krise. Man diente nun der immer zahlungskräftiger gewordenen Volksrepublik China zu.

Viele Grössen des Cantopop sangen plötzlich auf Mandarin, auf Hochchinesisch. Und so wich der Cantopop immer mehr dem – richtig – Mandopop.

Erst gemütlich, dann politisch

Der Cantopop bleibt aber ein dicht beschriebenes Dokument asiatischer Kulturgeschichte. Das Genre scheint sich am Widerspruch zu ergötzen: Es zeigt, wie aus kommerzieller Behaglichkeit auch politischer Aktivismus erwachsen kann.

Eine Frau mit Gitarre auf einer Bühne.
Legende: Setzt sich für die Demokratiebewegung ein: Denise Ho im Mai an einem Konzert in Oslo. Reuters

Der Cantopop ist immer auch ein Spiegelbild der chinesischen Öffentlichkeit zwischen Ost und West.

Ähnlich wie der Cantopop wurde auch die boomende Filmindustrie in den 1980ern zu einem Vehikel moderner Selbstfindung in Hongkong.

Formbares Genre

So wird verständlich, warum sich die Hongkonger Protestbewegung bei Kung-Fu-Legende Bruce Lee ihr Motto geborgt hat. Dieses lautet: «Be Water». Ein Zitat aus einem berühmt gewordenen TV-Interview mit Bruce Lee.

Der Hongkonger Star beschwor darin den Geist der Anpassungsfähigkeit: Sei wie Wasser, sei flexibel und mobil. Flexibel und mobil? Das kann man vom Cantopop auch sagen.

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